Nicht angezeigt

■ Festgenommene und Verletzte gehen selten vor den Kadi

So schlimm könne das ja alles gar nicht gewesen sein mit den Übergriffen der Polizei bei der IWF-Tagung, meinte die Polizeiführung im Innenausschuß des Abgeordnetenhauses und begründete das mit der geringen Zahl der Anzeigen gegen Polizisten. Insgesamt lägen nämlich nur 24 Anzeigen vor.

Rechtsanwälte schätzen, daß etwa 90 Prozent der Anzeigen gegen Polizeibeamte aussichtslos sind. Vermummte Polizisten sind oft schwer wiederzuerkennen, mit Dienstnummern wird gegeizt und von einer Kennzeichnung - von der FDP einst gefordert - ist keine Rede mehr.

Wir fragten einige der zahlreich Verprügelten und Eingeschlossenen, warum sie keine Anzeige erstattet haben.

A. war in einem Kessel in der Fasanenstraße eingeschlossen: „Weil mir mein Rechtsanwalt davon abgeraten hat. Er sagte, es hat einfach keinen Sinn und kostet nur Zeit und Geld. Ich habe Beschwerde gegen die Freiheitsentziehung eingelegt. Ich werde wohl eine Strafanzeige gegen die Haftbedingungen erstatten. Aber das muß ich noch mit anderen aus dem Kessel besprechen. Das lohnt sich nur, wenn viele das tun. Sonst wird das zu teuer. Eine Dienstnummer habe ich nicht.“

B.: „Weil ich es bescheuert finde, Anzeige zu erstatten. Ich glaube eben nicht an diesen Rechtsstaat.“

Pressefotograf Hans-Peter Stiebing: „Weil nichts nachzuweisen war. Ich wurde vor dem Europa-Center mit zwei anderen Pressefotografen behindert. Die Polizei hat uns über die Straße gedrängt bis zum Mittelstreifen. Wir wurden geschubst, man hielt den Finger vor die Linse, und Schlagstöcke wurden eingesetzt. Ich bekam einen Schlag auf das Blitzgerät und auf die Finger. Das hätte zehn Minuten später kein Arzt feststellen können, daß ich was auf die Finger gekriegt habe. Auch mein Blitzgerät blieb heil. Wir machen da eine neue Strategie aus, uns so zu behindern, daß nichts nachzuweisen ist.“

Pressefotograf Metin Yilmaz: Ich wurde massiv behindert. Dagegen kann ich keine Anzeige erstatten. Meine Einschätzung ist die, daß es nicht so sehr darum, ging zu prügeln, sondern darum Berichterstattung zu verhindern. Wir sollten eingeschüchtert werden. Es ist im Grunde nichts neues, aber es war diesmal massiver. Ich fühlte mich massiv behindert und bekam solche Angst, daß ich am Donnerstag gar nicht mehr hingegangen bin.“

C. hat einen Schlag mit dem Schlagstock abbekommen: „Weil ich genau weiß, daß das nichts bringt. Ich hatte keine Zeugen, und Dienstnummern haben die auch nicht rausgerückt. Außerdem hatten die Bullen Tücher über dem Helm. Ich könnte die ja nicht mal wiedererkennen. Außerdem ist es doch immer so, daß du nicht ankommst gegen die. Das kann dir auch jeder Rechtsanwalt erzählen.“

D.: „Weil ich so überraschend verknüppelt worden bin, daß ich mich an nichts mehr richtig erinnere. Kannst du mir mal erzählen, wie ich da mit einer Anzeige weiterkommen soll? Ich gehe davon aus, daß das alles sowieso nichts bringt.“

RiHe

Heute abend um 20 Uhr findet eine Vollversammlung für alle unter ASOG vorläufig Festgenommenen statt. Ort: SFE, Mehringhof, Geneisenaustraße 2a, 3. Stock.