Kein politisches Festival

■ Zum 5.Internationalen Filmfest in Haifa

Werner Herzogs Cobra Verde - „ein einziger kolonialer Orgasmus“. Auf diese treffende Formel einigten sich während des Fünften Internationalen Filmfestivals in Haifa die israelischen Journalisten. Zwei Stunden hatten sie mit Herzog debattiert, mit dem, wie er sich selbst nannte, „bayerischen Regisseur“, was am Mittelmeer einer näheren Definition bedurfte. „So wie Faßbinder und Achternbusch“, erläuterte der Bajuware, „im Sinne unseres letzten Königs, Ludwig II, ein Wahnsinniger, und der einzige, der außer mir noch Fitzcarraldo hätte machen können.“

Die Kollegen verstanden nichts, was allerdings ihre Empörung über das „rassistische“ Machwerk des Germanen nicht mindern konnte.

Beifall erntete dagegen Italo-Western-Held Franco Nero, der mit der Hauptrolle in dem italienischen Film von Edith Bruck Una Altare per la Madre ins anspruchsvolle Fach wechselte, künftige Spaghetti-Western allerdings nicht ausschloß, da er ja auch Geld verdienen müsse.

66 Filme aus 23 Ländern wurden während des viertägigen Festivals in Haifa gezeigt, das traditionell während des Sukkot stattfindet, dem einwöchigen jüdischen Laubhüttenfest, an dem zur Erinnerung an den Auszug der Juden aus Ägypten Laubhütten gebaut werden. In den Laubhütten nimmt man die Mahlzeiten ein, religiöse Juden schlafen auch dort und die Organisatoren des Festivals veranstalteten in den Hütten ihre Pressekonferenzen.

Mit sechs Filmen waren die polnischen Filmemacher am stärksten vertreten. Ein Novum, wie Janusz Zaorski, Regisseur von Matka Krolow, Gewinner des Silbernen Bären auf der diesjährigen Belinale, betonte. Mit Zaorski, Witold Leszinsky und Krzystof Kieslowski (Kurzer Film über das Töten) durften gleich drei Regisseure nach Haifa reisen. Aus Ost-Berlin war Rainer Simon mit seinem deutschen Geschichtsfilm Wengler da.

Ein politisches Festival, hieß es anschließend in der israelischen Presse, unverständlicherweise, denn israelische Produktionen und / oder Filme, die sich mit der aktuellen Situation in Israel auseinandersetzten, fehlten völlig. Die Intifada, die täglichen Toten und Verletzten in den besetzten Gebieten, über die in den Nachrichtensendungen berichtet wird, waren auf der Leinwand nicht zu sehen.

In den Kinosälen wurde hauptsächlich die Vergangenheit verhandelt, die Kriegs- und Vorkriegszeit, Nationalsozialismus und Holocaust, und damit nicht zuletzt auch ein Teil der Vorgeschichte des Staates Israel. Vergangenheit auch in zwei der insgesamt sechs polnischen Beiträge (Matka Krolow, Regie: Janusz Zaorski, The Road Home, Regie: Jerzy Kaszbowsky) sowie Elem Klimovs Komm und sieh, aus der Bundesrepublik Novembermond von Alexandra v.Grote, aus Ungarn Istvan Szabos Hanussen, um nur einige zu nennen. Ein bewußt gesetzter Schwerpunkt, kommentierte ein israelischer Journalist die Auswahl, denn es sei vielen lieber, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen als mit der aktuellen Situation. Ablenken, das Volk mit Spielen beschäftigen, sei eine andere Taktik der Regierenden.

Seit Mai reißt die Inflation von Festivals jedweder Art in Israel nicht ab. Man will Ruhe im Land vor den Wahlen. Zwar werden hier und da auch mal politische Reden gehalten, Forderungen aufgestellt, aber dann geht's auch gleich weiter mit Folklore, Klassik, Chormusik oder was sonst gerade auf dem Programm steht. In Haifa raffte sich der einzige israelische Regisseur, Danniel Danniels, der allerdings seit 15 Jahren in Holland lebt, zu einer derartigen Geste auf. Er widmete die Vorführung seines Films Egg (ein Beziehungsmelodram) den Opfern der Intifada. Die zwölf Demonstranten, die anläßlich der Eröffnungsfeier vor einem der Kinos mit Plakaten gegen die anhaltende Besatzung protestierten, gingen zwischen Jongleuren, Stelzenläufern, kaltem Buffet und den frisch restaurierten Dokumentarfilmen von Nathan Axelrod aus der Pionierzeit des israelischen Kinos unter.

Ute Frings