Forderungen an den Geliebten

■ Nachdem sich in der Frauenbewegung bislang vor allem die Frauen verändert haben, sind nun die Männer gefordert, ihre Defizite auszugleichen / Politikern sind die Chancen einer solchen Veränderung nicht vorstellbar

Renate Schmidt

Renate Schmidt ist die „Frauenfrau“ der SPD im Bundestag. Sie ist Vorsitzende des Arbeitskreises „Gleichstellung von Frau und Mann“ und stellvertretende Vorsitzende der SPD -Bundestagsfraktion.

Im Jahr 1968 hätte ich auf die Frage „Bist du Feministin?“ mit Unverständnis und Abwehr reagiert, 1988 bin ich sauer, wenn ich von Feministinnen ausgegrenzt werde.

1968 war bei mir noch das Bedürfnis, Männern zu gefallen, vorherrschend, 1978 der Kampf darum, besser sein zu wollen als die Männer, 1988 der Wunsch, als Frau gut zu sein und zu bestehen.

Also gemischte Gefühle beim Gedanken an 1968: Das Empfinden, nicht wirklich dabeigewesen zu sein (die Heldinnen sind immer die anderen), Bedauern, nicht studiert zu haben, kaum nächtelange Diskussionen geführt zu haben, keine WGs zu kennen und beim einzigen Joint 1971 nicht die erwartete Bewußtseinserweiterung erlebt zu haben.

Erkennen, Männer als Maßstab nicht nur akzeptiert, sondern gesucht zu haben, teils, um zu gefallen, teils, um im Beruf besser zu sein als sie.

Wissen, daß ich ohne die Erfahrungen dieser Jahre nicht dort wäre, wo ich bin: 1961 erwarte ich als knapp 18jährige ein Jahr vor dem Abitur ein Kind, heirate, kann als „in Schande Gefallene“ mein Abitur nicht machen, werde Programmiererin - damals ein Männerberuf -, komme zum Entsetzen meiner Kollegen auch nach der Geburt eines zweiten Kindes 1963 wieder in den Beruf zurück, werde schlechter bezahlt als die Männer, muß, als mein Mann mit dem Studium fertig ist, wieder von neuem die Kämpfe um Hausarbeit und „wer-bringt-die-Kinder-in-den-Kindergarten“ ausfechten (und gewinne fast). 1967 ein Flirt mit der DKP (beim Einmarsch der Sowjets in Prag abrupt abgebrochen), 1968 nehme ich mir zum Entsetzen meiner Vorgesetzten mehrere Male frei, um zu Demonstrationen zu gehen: gegen die Notstandsgesetze, für den Nulltarif, gegen die Amis in Vietnam, Sitzstreik am Plärrer in Nürnberg, Besetzung des Schauspielhauses, ich schwenke eine rote Fahne auf der Bühne. Nein, keine Frauengruppen, nichts Frauenbewegtes, schließlich habe ich mich durchgesetzt bei den Männern. Inzwischen sind sie stolz darauf, daß eine Frau als Systemanalytikerin so etwas Schwieriges kann wie sie, und zotigen Witzen setzte ich noch eins drauf - schließlich leben wir im Zeitalter der sogenannten „sexuellen Befreiung“.

1970: Geburt des dritten Kindes und erstes gewerkschaftliches Engagement. In dem Betrieb, in dem ich arbeite, tut der Betriebsrat nichts, es gibt keine Betriebsversammlungen - wir setzten eine durch. Ich entdecke, daß es außer Beruf, Kindern, Mann und sporadischem politischen Engagement noch mehr Welten zu entdecken gibt.

1971: Eintritt in die SPD - Willy wählen, mehr Demokratie wagen.

1972: Wahl in den Betriebsrat und die Konfrontation mit dem anderen Frauenleben: Unterbezahlte Arbeit, verkappte Leichtlohngruppen. Frauen, die früh um drei aufstehen, um nach der Fahrt mit Werkbussen um 6.30 Uhr mit der Arbeit zu beginnen. Teilweise in Begleitung ihrer Kindern, die im Betriebskindergarten untergebracht sind. Betriebsratskolleginnen, die Schulungen nicht mitmachen, weil ihre Männer dagegen sind, und wenn sie doch mitfahren, für eine Woche vorkochen, vorputzen, vorbügeln. Ich agitiere gegen Fensterputzen, gegen gebügelte Unterwäsche (!), gegen Leichtlohngruppen, für Frauen in Gewerkschaftsgremien und Tarifkommissionen, ich bin plötzlich frauenbewegt und dennoch immer noch stolz, wenn mich jemand als „einzigen Mann im Betriebsrat“ bezeichnet.

In der SPD Engagement für eine Bürgerinitiative, die einen Aktivspielplatz will. Erste öffentliche Auftritte. 1974 müssen wir uns entscheiden, wie es in der Familie weitergeht: Zwei Berufe, Gewerkschaft, SPD, Aktivkinderspielplatz, Falkengruppe, drei Kinder, von denen zwei abwechselnd Schwierigkeiten mit Mengenlehre und Lateinvokabeln haben - das ist zuviel. Wir entscheiden uns für den besserbezahlten Beruf (meinen) - mein Mann wird Hausmann, was ihm den Spott von Freunden, die Nichtakzeptanz vor allem der Genossen und die Häme der Nachbarn einbringt und mir bei den Kolleginnen und Kollegen im Betrieb und der Gewerkschaft endgültig den Ruf, eine Emanze zu sein. Es wurde auch Zeit. Die Frau,

das defizitäre Wesen

1980 ungeplant und unvorbereitet Kandidatur für den Bundestag. Meine schon im Betriebsrat vorhandene Tendenz, mich um Minderheiten zu kümmern, setzt sich im Bundestag fort. Das mühselige Engagement für die - ohne Ironie beladenen Benachteiligten. Dabei nimmt die Erkenntnis zu, daß eine dieser Minderheiten die Frauen sind - ob als Ausländerinnen oder erwerbstätige Frauen, ob als Familienfrauen oder als Mütter, die wieder in den Beruf wollen. Eine Mehrheit wird zur Minderheit gemacht. Politik für Frauen bleibt immer im Rahmen von Ungesichertsein. Normalerweise werden vorhandene Probleme durch Gesetze und Rechtsansprüche gelöst. In der Frauenpolitik sieht der Regelfall Modellvorhaben (die in so gut wie keinem Fall nach der Modellphase weitergeführt werden), selbstausbeuterische Selbsthilfeprojekte, Stiftungen, ABM-Maßnahmen und Forschungsvorhaben vor. Die Frau, das defizitäre Wesen.

Seit 1987 bin ich nun Frauenfrau der SPD -Bundestagsfraktion. Vorher war ich Bafögfrau, Tierschutzfrau und Zivildienstfrau oder Familienpolitikfrau und wurde dort auch bei Konflikten ernst genommen. Für eine Frau, die sich hauptamtlich für Frauenpolitik engagiert, ist die Situation eine andere. Frauenpolitik war und ist kein normales Politikfeld. Da Männer unseren Forderungen häufig hilflos gegenüberstehen, retten sie sich ins Lächerlichmachen unserer Forderungen und der sie vertretenden Frauen.

Dies erklärt aber nicht die zunehmende Aggressivität vieler meiner Genossen gegenüber Frauenforderungen und die Tatsache, daß sie sich mit diesen Forderungen auseinanderzusetzen beginnen.

Frauenbewegung in der SPD gibt es schließlich nicht erst seit 1968. Meine Großmutter durfte noch nicht wählen, der Arbeitsplatz meiner Mutter konnte noch gegen ihren Willen von meinem Vater gekündigt werden, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, nicht etwa gleichwertige, wurde in der Weimarer Republik nicht einmal von den Gewerkschaften anerkannt. Daß sich das und vieles andere geändert hat, ist nicht zuletzt Verdienst von Sozialdemokratinnen. Hauswirtschaft für Jungen

Diese Veränderungen wurden von den Männern akzeptiert, denn eine grundsätzliche Änderung ihres Lebens verlangten sie nicht.

Die letzten siebzig bis hundert Jahre der Frauenbewegung standen unter der Überschrift der Veränderung von Frauen, der Veränderung in der Ausbildung, unserer Lebensplanung, unserer Rollenmuster. Die nächsten (nein, nicht siebzig oder hundert) Jahre müssen unter der Überschrift der Veränderung der Männer stehen, um ihre Emanzipation und um die Gleichheit von Frau und Mann zu erreichen. Dies bedeutet konkret, es reicht nicht mehr aus, daß Männer im Bundestag für die Ausbildung von Mädchen in gewerblich-technischen Berufen sein müssen und für Frauenförderung im öffentlichen Dienst, für die befristete Quote. Sie müssen auch für die Ausbildung in Säuglingspflege und Hauswirtschaft für Jungen, für verbindlichen Väterurlaub und Teilzeitarbeitsmöglichkeiten für Väter, für die bewußte Inkaufnahme des bisher Frauen vorbehaltenen Karriereknicks, wenn sie Kinder haben wollen, sein. Denn nicht Frauen sind länger defizitäre Wesen, sondern Männer müssen beginnen, ihre Defizite auszugleichen.

Das heißt, die Männer müssen sich ändern, ihr Leben wird sich ändern, wenn sie unseren Forderungen nachgeben. Vielen Männern - gerade Politikern - sind die positiven Möglichkeiten einer solchen Veränderung nicht vorstellbar. Einmal aufgrund ihrer Erziehung, zum andere aufgrund ihres persönlichen Lebensstils, der auf die Zuarbeit einer (Ehe)frau abgestellt ist und von der Unveränderbarkeit unserer Arbeits- und Lebensstrukturen ausgeht. Die einzigen Möglichkeiten, diese Unveränderbarkeiten zu erhalten, bestehen darin, Frauen in Emanzen und Nichtemanzen zu trennen (funktioniert im Regelfall nicht mehr) und Frauenforderungen und Frauen, die sie stellen, lächerlich zu machen.

Männer sind aber nicht nur als Politiker, Gewerkschaftsfunktionäre, Arbeitgeber und Personalchefs, als Vorgesetzte und Kollegen Forderungen von Frauen ausgesetzt, sondern auch als Ehemänner oder Partner. Und dies ist die große Schwierigkeit, vor der beide Geschlechter stehen: Die Forderungen von Frauen richten sich ja nicht nur an die anonyme Gruppe der Männer, sondern vor allem an den eigenen Mann. Das heißt, wir haben Forderungen an den, den wir lieben. Dies hat manchmal den Verlust der Liebe, manchmal die Aufgabe der Forderungen und, wenn es beide schaffen, manchmal den Gewinn von zusätzlichen Lebensmöglichkeiten, mehr gegenseitigem Verstehen, größerer Unabhängigkeit, mehr Chancen für wirkliche Partnerschaft und Liebe zur Folge. Anfang eines neuen Kampfes

Der Quotenbeschluß der SPD ist deshalb mehr als das Ende einer Entwicklung, er ist der Anfang eines neuen Kampfes. Er ist die Chance, daß wir uns endlich überall einmischen können, ohne daß wir dauernd überfordert sind, und deshalb schon ein Grund für Freudentränen. Das Erstaunen ist groß, wenn wir jetzt unseren Anspruch anmelden nach einer Steuerreform, die nicht nur Ökologie und Ökonomie, sondern gleichwertig auch Fraueninteressen berücksichtigt. Die Abwehr ist groß, wenn wir die verbindliche Quote im öffentlichen Dienst fordern.

Der hundert Jahre alte Versuch, Frauenthemen zu Nebenthemen zu erklären, ist noch nicht vorbei: Aber mindestens 40 Prozent Frauen werden aus Nebenthemen Hauptthemen machen. Für die nächste Generation der Mandatsträgerinnen wird das, was Inge Wettig-Danielmeyer in dem Band Sozialdemokratinnen schreibt, nicht mehr notwendig sein.

„Ich habe immer wieder erfahren, wieviel höhere Anforderungen an meine Kolleginnen und mich gestellt wurden als an männliche Kollegen; vor allem aber, daß Anforderungen gestellt wurden, die nicht gleichzeitig leistbar sind: treusorgende Mutter, aber gleichzeitig immer präsent in der Parteiarbeit. Treue Ehegattin, aber für jedes Abenteuer bereit. Angenehm und angepaßt, aber durchsetzungsfähig. Einem Abgeordneten, dessen Frau nicht berufstätig ist, wird es hoch angerechnet, wenn er gemeinsam mit ihr das Kind ins Krankenhaus bringt oder an wichtigen Schulfeiern teilnimmt. Eine Abgeordnete, die dasselbe tut, wird mit dem Kommentar belegt, Frauen mit Kindern - das geht doch nicht in der Politik! Für Funktionen untauglich. Selbst die von Männern ausgesuchten Karrierefrauen, die an der normalen Ochsentour vorbei als Funktionärinnen und Mandatsträgerinnen gesetzt werden, unterliegen schon bald der oben beschriebenen Meßlatte.“

Die Frauenbewegung Anfang der siebziger Jahre hat die Sozialdemokratinnen deutlicher erkennen lassen als je zuvor, daß zwar nur eine sozialistische Partei ihre Vorstellungen von Demokratie verwirklichen kann, daß aber auch nur ein aktiv vertretener Feminismus diesen Sozialismus zu seiner demokratischen Veränderung bringen kann. Die sozialdemokratischen Frauen sind nicht länger bereit, die Interessen der Frauen um eines vermeintlichen sozialdemokratischen Gesamtinteresses willen hintanzustellen. Die Frauenfrage ist für sie kein Nebenwiderspruch, sie ist ihr brennendstes Problem.

Ich freue mich auf die neuen Frauen.