Tee zum politischen Sonderpreis

Teekampagne überweist Lohnbetrag zweimal nach Indien / Konkurrenz protestiert und prozessiert  ■  Von Christine Mattauch

Berlin (taz) - Der Richter bewies erstaunliches Argumentationsvermögen. Es sei ja gut und schön, daß sie den doppelten Lohnanteil nach Indien überwiesen, meinte er. Aber werben dürften sie mit dem „Dritte-Welt-Argument“ nicht. Denn der Verkaufserfolg zeige, daß die Konsumenten dem gegenüber aufgeschlossen seien. Von daher könne ihr Beispiel Schule machen. Und das wiederum könne zu einer „Verwilderung des Wettbewerbs“ führen.

Gegen den Verkauf mit dem Werbeslogan „doppelter Lohnanteil“ hatte ein Teehändler aus Hannover geklagt und gewonnen. Prozeßverlierer war die Berliner Projektwerkstatt. Seit drei Jahren importieren Dozenten und Studenten der FU Berlin in einer eigens dafür gegründeten Firma Tee aus Indien und verkaufen ihn auf dem bundesdeutschen Markt. Den normalen indischen Lohnanteil - pro Kilo Tee sind es etwa drei Mark - überweisen sie ein zweites Mal nach Indien. Dennoch schaffen sie es, den Tee fast um die Hälfte billiger zu verkaufen als die Konkurrenz. Kein Wunder, daß der traditionelle Teehandel jede Möglichkeit nutzt, gegen die Projektwerkstatt vorzugehen - wenn nötig, vor Gericht.

Das Urteil des Landgerichts Hannover ist den Mitarbeitern der Projektwerkstatt noch heute unverständlich. „Eine krude Argumentation. Es wäre doch nur gut, wenn andere Firmen unserem Beispiel folgen würden“, meint Peter Lange, einer der Initiatoren des Projekts.

Daß die Projektwerkstatt nun nicht mehr mit dem Slogan „Doppelter Lohnanteil für Indien“ werben darf, trifft die Mitarbeiter hart. Weniger aus kommerziellen Gründen, erklärt Lange, sondern „wegen unseres pädagogischen Zeigefingers“. Durch die plakative Formulierung habe man so gut deutlich machen können, wie gering der Lohnanteil im Vergleich zu anderen Kosten ist - „und daß man ihn problemlos erhöhen kann, wenn man anderen Kosten spart“.

Die Berliner sparen zunächst durch Direktimport - dadurch entfallen die Kosten für den Zwischenhandel. Außerdem verkaufen sie nur Großpackungen - die kleinste Tüte enthält immerhin ein halbes Pfund Darjeeling first flush. Schließlich ist die Verkaufsaktion auf ein paar Monate im Jahr begrenzt, in diesem Jahr läuft sie von Mitte Oktober bis Weihnachten. Durch die zeitliche Begrenzung werden Lager -, Miet- und Vertriebskosten gespart. So ist der Kampagnen -Tee im Schnitt rund 40 Prozent billiger als im normalen Einzelhandel - und das eben trotz „doppeltem Lohnanteil“.

Kein doppelter Lohn

So plakativ diese Formulierung wirken mag - korrekt ist sie nicht. Die PflückerInnen auf den Plantagen bekommen nämlich nicht doppelt soviel Lohn, sondern nur den üblichen. Es sei für die Projektwerkstatt nicht machbar, tatsächlich höhere Löhne durchzusetzen, behauptet Lange. Auf den Plantagen herrschten noch „quasi feudale Verhältnisse“, und wenn die Projektwerkstatt dem Plantagenbesitzer mehr Geld überweisen würde, „dann würde der das nur in die eigene Tasche stecken.“

Mit dem Zusatz-Geld werden statt dessen Selbsthilfeprojekte unterstützt. Im ersten Jahr der Kampagne wurde das Geld an ein Dorf überwiesen, unter anderem ein Brunnen gebaut, ein Schulgarten angelegt. Im zweiten Jahr finanzierten die Berliner einen Genossenschafts-Dachverband.

Insgesamt 160.000 Mark konnten bislang zusätzlich für Indien erwirtschaftet werden. Der Verkauf der Projektwerkstatt hat sich von Jahr zu Jahr beträchtlich erhöht. Wurden 1985 noch vier Tonnen Tee abgesetzt, so waren es ein Jahr später schon dreizehn und 1987 sogar 38 Tonnnen. Entsprechend ist bei den Projekt-Mitarbeitern die Überzeugung von ihrem Modell gestiegen. „Der Erfolg gibt uns recht“, sagt Projekt-Mitarbeiter Tom Opitz.

Er hält diese Form von Handel für eine „besonderes interessante Alternative“. Kein Wunder: trotz doppelter Überweisung nach Indien, trotz des niedrigen Preises springt für die Projektmitarbeiter ein Stundenlohn von zwölf (Anfänge) beziehungsweise fünfzehn Mark heraus. Ehrenamtlich arbeitet lediglich Günter Faltin, der das Projekt aufgezogen hat.

Faltin, Professor für Wirtschaftspädagogik, wollte nicht zuletzt seinen Studenten etwas bieten. Durch die Mitarbeit in dem Projekt beschäftigen sich die Kommilitonen praxisnah und quasi von selbst mit ökonomischen Strukturen. Damit sie den Durchblick kriegen können, ist die Projektwerkstatt als „gläserne Firma“ (Lange) konzipiert. Eine Hierarchie wird zwar für sinnvoll erachtet, doch werde, so Lange, den Studenten „das sogenannte Herrschaftswissen mitgeteilt“. Parolen gegen die bestehende Weltwirtschaftsordnung sind von den Projektmitarbeitern nicht zu hören. Sie suchen alternative Handlungsformen auch schon innerhalb des bestehenden Systems. Politisch seien sie „ganz losgelöst“, sagt Peter Lange. „Wir wollen auch für Leute akzeptabel sein, die nicht zum linken Spektrum zählen.“

Ob links oder nicht, in der Mehrzahl rekrutieren sich die Kunden „aus dem intellektuellen Umfeld“ (Opitz). Sie kaufen den Tee in einem der rund 40 Berliner Verkaufsdepots oder das ist seit diesem Jahr für den Rest der Republik möglich lassen ihn sich per Versand schicken.

Niedrige Schadstoffwerte

Nur mit Bioläden gibt es Schwierigkeiten. Biologisch angebaut ist der Darjeeling nämlich nicht. Regelmäßige Rückstandskontrollen bei einem Berliner Sachverständigen haben allerdings immer sehr niedrige Schadstoffwerte ergeben, die zur Kontrolle für den Verbraucher auf jeder Teepackung aufgedruckt sind.

Tee mit hohem Schadstoffgehalt würde die Projektwerkstatt gar nicht einkaufen, sagt Tom Opitz. Er hofft, daß durch die Konkurrenz unter den Plantagen ein Lernprozeß einsetzt nach dem Motto „Wenn ich meinen Tee verkaufen will, darf ich eben nicht so viel Chemie einsetzen.“ Die Sache hat nur einen Haken: Die wenigsten Einkäufer sind so kritisch wie die Projektwerkstatt.