: Wintex '89: SPD betreibt Notstandskosmetik
Die eingeschränkte Teilnahme der Bundesländer Schleswig-Holstein, Bremen und Saarland an der Nato-Notstandsübung „Wintex/Cimex“ ist eine halbherzige Maßnahme: Rechtlich sind die Bundesländer überhaupt nicht zur Teilnahme verpflichtet ■ Aus Bonn Charlotte Wiedemann
Wenn Björn Engholm wirklich wollte, müßten sich seine Landesbehörden an der skandalösen Nato-Notstandsübung „Wintex/Cimex“ gar nicht beteiligen. Doch der Protest aus Schleswig-Holstein, Bremen und dem Saarland gegen diese Übung, bei der im kommenden Frühjahr wieder die Niederschlagung von Streiks, die Internierung der Opposition und der Atomwaffeneinsatz auf dem Papier geprobt wird, bleibt bisher halbherzig.
Daß sich diese Länder nur mit einer „Ansprechgruppe“ auf unterer Ebene am zivil-militärischen Kriegsspiel beteiligen wollen, lobte der 'Spiegel‘ diese Woche als „Verweigerung des Kriegsdiensts“ hoch, während Militärs über die mangelnde „Nato-Treue“ der Sozialdemokraten lamentieren. Wissentlich oder unwissentlich wird dabei unterschlagen, daß die Bundesländer zu einer Beteiligung an der Nato-Übung (24.Februar bis 9.März '89) rechtlich überhaupt nicht verpflichtet sind, also ganz aussteigen könnten - wenn sie wollten.
Im Gemeinsamen Ausschuß, dem „Notstandsparlament“ des Bundestags für Krisenzeiten, ist daran kein Zweifel geblieben. Die Grünen fragten: „Trifft es zu, daß die Bundesländer zur Beteiligung an den Wintex/Cimex-Übungen (...) rechtlich nicht verpflichtet sind?“ Und das Kanzleramt antwortete am 22.Juli schriftlich klipp und klar: „Ja, das trifft zu.“
Uwe Danker, Sprecher der SPD-Fraktion und Partei in Kiel, zeigte sich auf Nachfrage erstaunt. Bisher sei man von der juristischen Auffassung ausgegangen, daß das Land nicht vollständig auf eine Beteiligung verzichten könne. Danker: „Das würde jetzt eine neue Lage schaffen.“ Auch der SPD -Bundestagsabgeordnete Horst Jungmann, Mitglied im Verteidigungsausschuß und Berater der Kieler Regierung in Sachen Wintex/Cimex, kennt die Rechtsauskunft des Kanzleramts nach eigenen Angaben nicht. Bisher habe er angenommen, die Länder könnten nur das Ausmaß des Mitspielens bestimmen: Dafür gibt es drei Stufen, von denen eine „Ansprechgruppe“ die niedrigste ist. Die Landesregierungen entscheiden bei jeder der zweijährlich abgehaltenen Übungen neu; der Anweisung des Landes, welche Kreise und Kommunen in die Notstands-Planung einbezogen werden, können sich die unteren Verwaltungen dann nicht widersetzen.
In einem Offenen Brief an Björn Engholm karrten die Bundestags-Grünen jetzt nach: Wenn die SPD-Genossen tatsächlich ein „friedenspolitisches Signal“ setzen wollten, könne die Konsequenz nur heißen: keinerlei Beteiligung an Wintex/Cimex. Ein derartiges Signal ist nach den bisherigen Verlautbarungen der Sozialdemokraten allerdings nicht zu erwarten. Die Genossen wollen die Nato-Übung nicht abschaffen, sondern reformieren. SPD-Verteidigungsexperte Jungmann kritisiert, daß die im wesentlichen gleichbleibenden politischen Szenarien so manipuliert würden, „daß es zwingend zu einem Krieg mit nuklearer Auseinandersetzung kommt“. Überdies fänden die Übungen durch die Anwendung von Notstands-Schubladengesetzen auf „nicht -gesetzlicher Grundlage“ statt. Die Bundesrepublik müsse sich bei der Nato dafür einsetzen, so Jungmann, daß diese Inhalte geändert werden. Darum sollten sich die SPD-Länder auf jeden Fall, auch wenn sie nicht müssen, auf der untersten Ebene beteiligen, „denn sonst weiß man nicht, was die machen, und kann keinen Einfluß nehmen“. Die Kieler Landesregierung will Wintex/Cimex deshalb diesmal von Friedensforschern begutachten lassen.
Auf mangelnde Informationen können sich die Sozialdemokraten aber schwerlich berufen; seit Jahren wenden sich die Friedensbewegung und auch etablierte Katastrophenschutz-Organisationen gegen die Nato-Übung. Interna wurden immer wieder veröffentlicht. Die bereits beim letzten Mal reduzierte Teilnahme des Landes Bremen hat keine Auswirkungen auf das neue Szenario gehabt, zumal die Nato -Planungen ohnehin mit zweijähriger Vorlaufzeit festgelegt werden und keine Mitsprache von Bundestag oder Bundesrat vorsehen. Bereits auf ihrem Nürnberger Parteitag forderte die SPD überdies, Zivilschutzmaßnahmen für den Krieg einzustellen. Wenn Sozialdemokraten die skandalöse Nato -Übung nun „immanent reformieren“ wollten, so schreiben die Grünen an Engholm, sei dies eine „Sackgasse“ und eine „Scheinalternative zu einer klaren Ablehnung“. Die Antwort steht noch aus.
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