„Finden Sie einen Ausweg“, Herr Stoltenberg

■ Der angebliche Barschel-Brief bringt den CDU-Landesvorsitzenden Stoltenberg in Bedrängnis

Die CDU hält den Brief von Uwe Barschel an Stoltenberg nach wie vor für eine Fälschung. Dr.Drommel kommt in seinem linguistischen Gutachten nach einer Konkordanz-Analyse zu dem Urteil, das Barschel-Schreiben sei keine Fälschung. Wir dokumentieren den angeblichen Barschel-Brief vollständig.

„Dieser Brief ist keine Fälschung“, zu diesem eindeutigen Urteil kommt in der Panorama-Sendung der Sprachwissenschaftler und Dozent an der Gesamthochschule Siegen, Dr.Raimund Drommel. Drommel, CDU-Kommunalpolitiker und linguistischer Gutacher für Landeskriminalämter und Gerichte, hatte im Auftrag von Panorama den angeblichen oder tatsächlichen Barschel-Brief an Stoltenberg in einer umfangreichen Konkordanzanalyse mit Reden und sowohl privaten als auch geschäftlichen Briefen Barschels verglichen. Dabei hat der Linguistiker etwa 50 Merkmale festgestellt, die rhetorische und stilistische Übereinstimmungen zwischen dem umstrittenen Brief und Barschels sonstigem Sprachgebrauch aufweisen. Diese übereinstimmenden Merkmale, so Gutachter Drommel, erlangen „fast schon das Niveau linguistischer Fingerabdrücke“. Auffällige Merkmale, die für Uwe Barschel typisch gewesen sind, seien die in dem Brief auftauchenden „Archaismen“, antiquierte Begriffe wie etwa „in diesen Zeiten der Fährnisse“ oder „den geschürzten Knoten aufknoten“. Auch daß der Briefschreiber häufig mit zwei Begriffen wie etwa „schlicht und einfach“ das gleiche doppelt ausdrückt, sei Barschel-typisch. „Aus linguistischer Sicht muß man davon ausgehen, daß Uwe Barschel der Urheber dieses Briefes ist“, urteilt Drommel. Daß ein intimer Barschel-Kenner sich diese sprachlichen Eigenheiten angeeignet habe, wie gestern CDU -Generalsekretär Geißler als Fluchtweg in die Debatte warf, hält Drommel zwar für „theoretisch möglich„; dieser Kenner und Fälscher hätte jedoch ein Super-Kujau und Super-Pfeiffer in einer Person sein müssen, der überdies mit sprachwissenschaftlichen Kenntnissen und einem Computerhirn hätte ausgestattet sein müssen. Und das hält Gutachter Drommel für „sehr sehr unwahrscheinlich“. Auch Barschels Witwe Freya erkannte gegenüber Panorama durchaus den Stil ihres Mannes in dem Brief wieder, und CDU-Politiker, denen die taz vergangene Woche den Brief vorgelegt hatte, fanden in dem Schreiben zahlreiche „für den Ministerpräsidenten typische Formulierungen“, so etwa das geschraubte Deutsch und Pathos.

Es gibt aber außer der Sprachanalyse auch inhaltliche Punkte, die auf eine Echtheit des Briefes und eine Urheberschaft Barschels hindeuten. So erwähnt das Schreiben ein Gespräch, das „wir am Montag miteinander führten und (an) das Gespräch mit Generalsekretär Reichardt am Donnerstag“. An diesem besagten Donnerstag weist nach Panorama-Recherchen Barschels Terminkalender tatsächlich ein Treffen mit „R.“ (wie Reichhardt) auf. Der ehemalige CDU -Generalsekretär bestritt zwar zunächst, an diesem Tag in Kiel gewesen zu sein. Jetzt räumte er jedoch gegenüber dem Fernsehmagazin ein, an jenem Tag mittags in Kiel eingetroffen zu sein. Ministerpräsident Barschel habe er jedoch nicht getroffen.

Laut Panorama können jedoch Barschels Sekretärin Eichler und sein persönlicher Referent bezeugen, daß Reichhardt an diesem Tag bei Barschel gewesen ist. Als „eindeutiges Indiz für die Echtheit“ wertete man in Kiel auch die Passagen des Briefes über Staatssekretär Knack aus dem Innenministerium. „Das kann sich eigentlich niemand ausgedacht haben“, so ein Informant letzte Woche gegenüber der taz. Knack, einer der bestinformierten Männer im ehemaligen Regierungsapparat „wußte sehr wahrscheinlich viel mehr, als jemals rausgekommen ist“. In Knacks Aufgabenbereich fielen die Bereiche Polizei und Verfassungsschutz, bei denen Rainer Pfeiffer sich im Auftrag Barschels Informationen über die Grünen und die Unabhängige Wählergemeinschaft geholt hatte. Knack starb überraschend am 9.11.87 in seinem Arbeitszimmer, kurz bevor er zum zweiten Mal vor dem Untersuchungssausschuß aussagen mußte. Auch der letzte Absatz des vierseitigen Briefes, in denen der Schreiber für den Fall einer Mandatsniederlegung und eines Wegzuges ins Ausland eine Existenzsicherung verlangt und dabei auf „Fälle vorher“ verweist, könnte sich auf tatsächliche, nur Eingeweihten bekannte Vorgänge beziehen. Möglicherweise spielte er damit auf den ehemaligen Wirtschaftsminister Knudsen an, der wegen seiner gleichzeitigen Beteiligung an einer Reederei angesichts heraufziehender Skandale auf Druck seiner CDU-Parteifreunde rechtzeitig aus dem Amt geschieden war; oder auf den CDU -Abgeordneten und Kieler „Baulöwen“ Gerisch, der unter dem Verdacht, bei öffentlichen Gebäuden seine Firma massiv bevorteilt zu haben, sein Mandat als CDU-Abgeordneter niederlegte und jetzt eine honorige Existenz führt. Gegenüber Panaroma bestätigte Freya Barschel überdies, daß ihr Mann am 3. oder 4.Oktober '87, dem Datum des umstrittenen Briefes, bei einem Spaziergang „mit einem sehr engen Freund“ die Überlegung geäußert habe, er werde für einige Jahre nach Kanada auswandern.

Während sich einerseits die Indizien mehren, daß Uwe Barschel tatsächlich den Brief geschrieben hat, bringt noch ein anderer Punkt die schleswig-holsteinische CDU-Spitze und ihren Vorsitzenden Stoltenberg in Bedrängnis: Unter Berufung auf einen bisher namentlich nicht genannten Informanten berichtete Panorama, der Brief sei am 5. oder 6.Oktober '87 in der Landesgeschäftsstelle der Kieler CDU eingegangen. Dort, so habe der Informant erklärt, sei er im Vorzimmer des damaligen CDU-Generalsekretärs Reichardt von drei Personen gelesen worden, bevor er Bürochef Reichhardt selbst übergeben wurde. Noch gestern behauptete die CDU jedoch weiterhin, der Brief sei erst kurz vor den Wahlen im Frühjahr '88 aufgetaucht. Sollte die offenbar aus Reichhardts engem Umfeld stammende Information stimmen, daß der Brief tatsächlich schon in der ersten Oktoberwoche bei der CDU eintraf, so wäre das wiederum ein weiterer Beleg für seine Echtheit. Denn zu diesem zeitpunkt lebte Uwe Barschel noch, und kein Fälscher würde sich ans Werk machen, wenn durch einen Rückruf bei dem „echten“ Barschel der Brief sofort als Fälschung entlarvt worden wäre.

Vera Gaserow / Petra Bornhöft