„An Schrauben drehen“

■ Lafontaine sprach auch vor dem „Wirtschaftspolitischen Gesprächskreis“ der SPD über Kompetenzmängel der Wirtschaftspolitiker, Wochenendarbeit und vieles mehr

Lag es an der Sitzung des Abgeordnetenhauses, an den verstopften Autobahnen oder schlicht daran, daß es in den letzten Monaten kaum einem Sozialdemokraten gelingen konnte, an Oskar Lafontaines Live- oder Medienauftritten vorbeizukommen? Nur knapp zu einem Drittel gefüllt war gestern das Dachgartenfoyer des ICCs, als der „böse Bube“ vieler GewerkschafterInnen vor dem „Wirtschaftspolitischen Gesprächskreis“ der SPD auftrat, um über Mehr Arbeit durch mehr Solidarität zu referieren. Hauptthemen seines Vortrags, der im Frühjahr zu einem handfesten Krach zwischen dem Berliner SPD-Chef und Sympathisanten Lafontaines, Walter Momper, und dem DGB-Gewerkschaftsboß Michael Pagels geführt hatte: Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich, die Arbeit an Wochenenden und die Verlängerung der Maschinenlaufzeiten in den produzierenden Betrieben.

Dazu holte der saarländische Ministerpräsident weit aus und bot für alle etwas. „Tradierte Denkmuster“ seien zu überwinden, dafür aber „soziale Phantasie“ zu entwickeln, weil zur wirtschaftspolitischen Kompetenz auch die soziale und ökologische gehöre. Wochenendarbeit etwa sei nichts Neues - Frauen hätten schon immer auch an Sonntagen arbeiten müssen, auch wenn sie nicht bezahlt wurden. Dem riesigen Angebot an Arbeitskräften stehe ein ebenso großer Bedarf gegenüber. „Die ökologische Kompetenz ist das unbearbeitetste Feld der Wittschaftspolitik überhaupt“, so Lafontaine unter dem freundlichen Nicken der Genossen. Allein die Beseitigung von Umweltschäden, Recycling und der Einsatz neuer Umwelttechnologien stelle erhebliche Ansprüche an den Arbeitsmarkt. „Die Frage ist nur, wie das bezahlbar ist.“ Und da stimme er ausdrücklich dem CDU-Professor Biedenkopf zu, der das als einer der ersten als Problem der Verteilung von Arbeit dargestellt hatte. „An allen drei Schrauben“ sei da zu drehen: Das Arbeitsvolumen muß zunehmen, die Schwarzarbeit vermindert und vorhandene Arbeit gerechter verteilt werden. „Ansatzpunkte für Teilfortschritte“ machte ein übervorsichtiger Lafontaine da aus, um dann endlich zu seinen umstrittenen Forderungen zu kommen. „Mehr Arbeit durch mehr Solidarität“ heiße eben für die Bezieher mittlerer Einkommen, sich darauf zu beschränken, die Segnungen der Steuerreform für Besserverdienende in Anspruch zu nehmen und nicht auch noch Lohnerhöhungen zu fordern.

Eine Verlängerung der Maschinenlaufzeiten biete nicht nur zusätzliche Arbeitsplätze, sondern ermögliche auch die Gleichstellung von Frauen und mehr Wahlfreiheit der persönlichen Arbeitszeiten. Ergebnis: Wegen der Zuschläge für Wochenendarbeit deutlich höhere Löhne, zugleich kürzere Arbeitszeit und zusätzlich neue Arbeitsplätze. Von Empörung war unter den anwesenden SPD-Mitgliedern nichts zu bemerken. Zu den Haupteinwänden der Gewerkschaften gegen die Verlängerung der Maschinenlaufzeiten, etwa einer Überproduktion mit nachfolgendem Verdrängungswettbewerb oder des Zerfalls des Wochenendes, brauchte Lafontaine bis Redaktionsschluß nicht Stellung zu nehmen.

diba