Ein Hellas für blonde Achaier: Erhart Kästners Griechenlandbücher aus dem Zweiten Weltkrieg werden seit den 40er Jahren erfolgreich verkauft. Eberhard Rondholz hat sie mit den Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht in Griechenland...

In einem ihrer Reiseführer fragt die Griechin Evi Melas, „ob es Zufall ist, daß keiner der jungen Deutschen, die ich kenne, über die Rolle, die Deutschland im Zweiten Weltkrieg in Griechenland gespielt hat, Bescheid weiß, während sie über den Einmarsch der Deutschen in Frankreich, Belgien oder Holland gut unterrichtet sind. Woher kommt es, daß einige junge Deutsche mir vor ein paar Jahren erzählten, daß sie 1941-1945 der Besatzungsarmee angehörten und dabei nur von antiken Tempeln und der schönen Landschaft schwärmten, so als hätte es weder Geiselerschießungen noch Folterungen noch Hungersnot gegeben?„

Dieses Unwissen hat jedenfalls etwas mit dem Lesestoff zu tun, den deutsche Griechenlandtouristen im allgemeinen als Wegweiser mit sich führen, wo die Jahre der Nazi-Okkupation in der Regel weitgehend ausgespart werden. Ein Extrembeispiel sind die Griechenlandbücher von Erhart Kästner, von denen in den fünfziger, sechziger Jahren mehrere Hunderttausend Exemplare verkauft worden sind und die in immer neuen Auflagen erscheinen. Eberhard Rondholz hat sie wieder gelesen und mit dem realen historischen Hintergrund konfrontiert, vor dem sie entstanden sind.

Im Sommer 1942 reiste der Unteroffizier Erhart Kästner gewissermaßen als Tourist in Uniform kreuz und quer durch Griechenland, um im Auftrag der großdeutschen Wehrmacht ein Buch über dieses Land für den Gebrauch einiger Hunderttausend Landsleute zu erstellen, die sich damals mit ihm, ebenfalls dienstlich, in Athen und Umgebung aufhielten. Am Neujahrstag 1943 trafen die ersten 5.000 Exemplare des Werks, vom Autor persönlich im Güterzug begleitet, in Athen ein. Gleich zu Beginn teilte Kästner, im Zivilberuf Bibliothekar und zeitweilig Privatsekretär von Gerhart Hauptmann, seinen uniformierten Landsleuten mit, daß sie kraft Haarfarbe und Körperbau sich als die rechtmäßigen Nachfolger der alten Hellenen betrachten dürften, ihre Invasion in Griechenland somit so etwas wie eine legitime Wiederinbesitznahme darstelle. Anläßlich einer Begegnung mit heimkehrenden Kreta-Kämpfern an einem Strand am Fuß des Olymp schreibt Kästner, ein wahrer Arno Breker der Feder:

„(Da) saßen, standen und lagen gleichmütig die Helden des Kampfes, prachtvolle Gestalten. Sie trugen alle nur die kurze Hose, manche den Tropenhelm, und blinzelten durch ihre Sonnenbrille in den hellen Morgen. Ihre Körper waren von der griechischen Sonne kupferbraun gebrannt, ihre Haare weißblond. Da waren sie, die 'blonden Achaier‘ Homers, die Helden der Ilias. Wie jene stammten sie aus dem Norden, wie jene waren sie groß, hell, jung, ein Geschlecht, strahlend in der Pracht seiner Glieder. Alle waren sie da, der junge Antenor, der massige Ajax, der geschmeidige Diomedes, selbst der strahlende blondlockige Achill. Wie anders denn sollten jene ausgesehen haben als diese hier, die gelassen ihr Heldentum trugen und ruhig und kameradschaftlich, als wäre es weiter nichts gewesen, von den Kämpfen auf Kreta erzählten, die wohl viel heldenhafter, viel kühner und viel bitterer waren als alle Kämpfe um Troja. Wer auf Erden hätte jemals mehr Recht gehabt, sich mit jenen zu vergleichen als die hier - die nicht daran dachten?„

Was die „blonden Achaier“, die homerischen Helden der Neuzeit, in jenen Jahren in ihrer wieder in Besitz genommenen eigentlichen Heimat sonst noch trieben, das gab der Landwirt August S., im Sommer 1943 Gefreiter bei der 12.Kompanie des 98.Gebirgsjägerregiments, viele Jahre später während eines Ermittlungsverfahrens der Münchner Staatsanwaltschaft wegen des Massagers von Kommeno u.a. wie folgt zu Protokoll:

„Wir umstellten den Ort. Erst später habe ich erfahren, daß der Ort Kommeno geheißen hat. Ich wurde zur Absicherung etwa 50 m außerhalb des Ortes mit noch anderen Kameraden postiert. Kurze Zeit darauf setzte Granatwerferfeuer ein. Die Häuser begannen zu brennen. Die Ortsbewohner, die aus den brennenden Häusern zu flüchten versuchten, wurden sofort abgeschossen ... Ich kann nicht sagen, wieviel Frauen und Kinder sich unter den Opfern befanden, aber ich habe unter den Leichen Frauen und Kinder und ganz junge Männer gesehen. Was mich furchtbar abgestoßen hat, das war, daß einige Angehörige der 12.Komp. sich in schändlicher Weise an den Leichen zu schaffen machten. So habe ich selbst gesehen, wie einige Soldaten den weiblichen Leichen Bierflaschen in den Geschlechtsteil einführten. Ich glaube, ich habe auch Leichen gesehen, denen die Augen ausgestochen waren. Wenn ich gefragt werde, ob es den Tatsachen entspricht, daß Kinder in der Weise verbrannt wurden, daß ihnen mit Benzin getränkte Watte in die Münder gestopft und die Watte dann angezündet worden ist, dann gebe ich an, daß ich tatsächlich Kinder gesehen habe (Leichen), die in der Gesichtsgegend um den Mund schreckliche Brandwunden aufwiesen. Ob diese Kinder lebend oder als Leichen so mißhandelt worden sind, weiß ich nicht.„

So hat es der Gefreite August S. erlebt, das homerische Heldentum der „blonden Achaier“ aus Deutschland. Und was er da erlebt hat, war im faschistisch besetzten Griechenland durchaus nicht die Ausnahme. So wie Kommeno, das kleine, unbekannte Dorf im Westen des Landes, wurden rund 100 Orte ganz oder teilweise dem Erdboden gleichgemacht, als „Sühnemaßnahmen“. Kalavrita und Klissura, Kandanos, Ano Vianos und Distomon (vgl. Abbildung), das sind nur ein paar Namen, stellvertretend genannt für die vielen unbekannten griechischen Oradours. Derlei niedrige Begleiterscheinungen seiner und seiner Landsleute Anwesenheit in Hellas fanden sich in Kästners Reisebegleiter für die Wehrmacht begreiflicherweise nicht wieder. Auch das Schicksal der fast 60.000 griechischen Juden, die Wehrmacht und Waffen-SS in den Jahren 1942-44 in Saloniki und Athen, in Joannina, Kastoria und Kavalla, auf Rhodos und Kos für den Abtransport nach Auschwitz zusammentrieben, blieb unerwähnt, versteht sich. Schließlich wollte der Autor seinen Druckposten als Hofschriftsteller in Uniform nicht verlieren - er hatte „einen Lenz“, wie er es nannte, und das auch nach Abschluß seines ersten Buches Griechenland.

Seine Auftraggeber waren mit seiner Arbeit so zufrieden, daß sie ihm sogleich die Aufgabe anvertrauten, auch das besetzte Kreta dem Landser literarisch näherzubringen. Woraus nichts mehr wurde, jedenfalls nicht gleich. Noch vor Drucklegung des Werks war Griechenland befreit, das Kreta -Buch erschien erst 1946 in Berlin, fast unverändert in jener Fassung, wie sie noch für die Hand des Soldaten bestimmt war. Das Buch Griechenland erschien 1953 in einer Neubearbeitung unter dem Titel Ölberge, Weinberge.

Wir könnten uns heute darauf beschränken, die feingeistige Auftragsprosa des Unteroffiziers Kästner auf ihre literarische Qualität hin abzuschmecken, wären diese Werke nicht in Rucksack und Koffer unzähliger Touristen gelandet, zu regelrechten Kultbüchern einer ganzen Generation von Hellas-Schwärmern geworden, Ölberge, Weinberge vor allem. Zwar waren gewisse Blut- und Bodenpeinlichkeiten aus der Urfassung verschwunden, doch blendete auch die 2.Fassung die politische und soziale Realität der Jahre der Okkupation so gut wie vollständig aus, ohne daß indessen die Entstehungsumstände verschwiegen werden. Das Bild einer friedlichen Besatzungsidylle entsteht.

Und so las der Griechenlandtourist der 50er Jahre so mancherlei von der Gastfreundlichkeit und edlen Einfalt griechischer Ziegenhirten, von der „dunklen Romantik, die darin liegt, daß wieder einmal Nordmänner das südliche Land überzogen“. Von dem, was Hitlers Horden auf griechischem Boden angerichtet hatten, erfuhr man bei Kästner so gut wie nichts. Statt dessen dies: daß der Krieg damals „kein Krieg zwischen Griechen und Deutschen“ war, daß die Griechen vor allem unter sich selbst litten, „denn das maßlos verwirrte Land leidet durch nichts so sehr als das furchtbare Treiben der Schwarzhändler. ... Die Unordnung des Landes, einst im Frieden ein heiter lebenssicheres Geschehenlassen, rächt sich nun furchtbar.“ So Kästners Erklärung für das hundertausendfache Sterben im Besatzungswinter 1941/42, über das man sich als Deutscher also weiter keine Gedanken zu machen hatte. „Solche Ausbrüche des Elends, solche Wuchten des Leidens gehören zum Bild des Südens... Hier sind sie immer als Möglichkeit da!“ So konnte man sich unbeschwert der zeitlosen Idylle widmen. Der gastliche Bruder Simeon

Im August 1943 besucht Erhart Kästner das Kloster Megaspileon in den Bergen des Peloponnes. Zehn Jahre später erinnert er sich, mit gemischten Gefühlen:

„Die Mönche sind gastfrei. Bei Adelphos Simeon war das Gastgeben geradezu eine Manie. Als ich ihm zugeteilt wurde, sprang er über die Steintreppen hinab und nahm meinen Rucksack an sich. Bald brachte er mir Oliven und weißen Schafskäse, bald lief er die hölzerne Hühnertreppe hinab, um Harzwein zu holen. Wenn er nachdachte, verschwand seine Hand in dem großen Bart; solang konnte er nichts anderes tun, Nachdenken schloß alles aus. Die Brüder hausten in kleinen Hütten am Hang. Simeon räumte mir seine ein. Aber froh wurde ich in dieser Klosternacht nicht. Das Löschen der Kerze war das Signal zum Aufbruch der Wanzen. Die Ankunft neuen Blutes schien ein sensationelles Ereignis zu sein ... Alsbald floh ich ins Freie, indem ich mir vornahm, früh zu erwachen und den guten Simeon nichts merken zu lassen. Früh jedoch trieb ihn die Neugier herbei. Er sah mich unter der Platane liegen und wiegte bekümmert den Kopf. Als ich vorgab, das griechische Wort für Wanzen, das er mehrmals hervorstieß, nicht zu verstehen, ließ er seine zehn Finger über die Hüttenwand laufen; es war nichts mehr zu leugnen. Guter Simeon! Er schob es darauf, daß ich am nächsten Tag schon weiterzog.„

Der gastliche Bruder Simeon, der verwanzte, freundliche Trottel, als den ihn Kästner hier vorgestellt hat, war nur vier Monate nach dem Besuch des schreibenden Wehrmachtsoffiziers tot, erschossen von einer Kompanie der 117.Jägerdivision, und mit ihm alle anderen Mönche des Klosters Megaspileon. Sie wurden Opfer einer „Vergeltungsaktion“ für einen griechishen Partisanenüberfall, mit dem die Klosterbrüder nichts zu tun hatten. Erschossen war auch der freundliche Bürgermeister der benachbarten Ortschaft Kalavrita, der Kästner ein Maultier und einen Führer besorgt hatte für seinen Aufstieg zu den Quellen des Styx, tot waren fast 800 männliche Einwohner von Kalavrita, mit Dauerfeuer aus Maschinengewehren massakriert. Zehn Jahre später hält Kästner das Schicksal der gastlichen Leute nicht für erwähnenswert, obwohl er doch persönlich an ihrer Ermordung nicht beteiligt war. Statt dessen: eine halbe Seite über Wanzen.

Nur an einer einzigen Stelle überhaupt in Kästners Griechenland-Büchern findet ein deutsches Kriegsverbrechen Erwähnung: In Ölberge, Weinberge beschreibt Kästner einen Besuch in der Gegend von Distomon, Jahre nach dem Krieg. Distomon war Schauplatz eines Massakers der Waffen -SS. Acht Zeilen immerhin widmet Kästner dem „sinnlosen Morden an Frauen, Kindern und Bauern, wie es ein Land noch nach hundert Jahren im Gedächtnis behält“. Was Kästner seinerseits vor allem im Gedächtnis behielt, war seine erfolgreiche Bemühung, auf dem Weg zum Kloster Ossios Lukas diesen Ort Distomon zu meiden, aus Angst, man könnte ihn als Deutschen identifizieren. Der ehrenwerte General

In Kästners drittem Hellas-Buch aus dem Krieg, Griechische Inseln, gibt es ein ausführliches Kapitel über Rhodos. Farbige Schilderungen der prächtigen Kreuzritter-Paläste, eingehende Beobachtungen vom Leben der türkischen Minderheit auf dieser Insel. Kästner erzählt von einem Besuch der Süleiman-Moschee, von seinen Gesprächen mit dem Mufti von Rhodos. Es gibt in der Hauptstadt von Rhodos auch eine Synagoge, es gab eine 2.500-köpfige jüdische Gemeinde, als Kästner 1944 nach Rhodos kam. Es gab sie nicht mehr, als er die Insel 1945 als Gefangener der Engländer verließ. Darüber findet man weder in Griechische Inseln noch in seinem veröffentlichten Briefnachlaß ein Wort. Sollte er vom Abtransport der Juden von Rhodos vielleicht nichts wahrgenommen haben? Er hat, und es gibt diese Wahrnehmungen auch schriftlich: in Form einer Zeugenaussage in der Strafsache gegen Kleemann, anhängig bei der Staatsanwaltschaft Koblenz in den fünfziger Jahren. General Kleemann war 1944 Kommandeur der Sturmdivision Rhodos und als solcher verdächtig der Beihilfe zum Mord an den Juden der Insel. Kästner entlastete den Kriegskameraden:

„(Ich habe) laufend und unzweifelbar gehört, daß General Kleemann sich lange Zeit energisch und mit Erfolg gegen den befohlenen Abtransport der Juden gesträubt hat,... daß der General vorgab, die Juden als tüchtige Geschäftsleute seien in der Lage, die Hungersnot, die damals auf der Insel herrschte, zu lindern. Ich war und bin fest davon überzeugt, daß dies nur Vorwände waren, daß das eigentliche Motiv des Generals als eines Ehrenmannes und alten Soldaten war, daß er seine Ehre mit einer so schändlichen politischen Maßnahme nicht beflecken wollte.„

In der Staftsache gegen Kleemann ist es nie zu einer Hauptverhandlung gekommen, Kästners Erinnerungen an die Judendeportation von Rhodos verschwanden in den Akten. In seine Reiseaufzeichnungen aus Hellas fanden derlei „schändliche Maßnahmen“ keinen Eingang, obwohl doch Zensur nicht mehr zu befürchten war. Was er befürchtet haben mochte, war die Reaktion jener Lesergruppe, auf die er vor allem spekulierte. Unter dem 7.Februar 1953, das Buch Ölberge, Weinberge ist in der bearbeiteten Neufassung im Druck, schreibt er an seinen Verlag: „Es handelt sich doch darum, daß in diesem Krieg nach und nach eine Million Deutscher nach Griechenland kamen (damals fanden sie es scheußlich, jetzt schwärmen sie), und das Buch als das ihre betrachten ... Also: der Werbetext muß auch für die damals verhinderten Käufer und auch Verlierer gedacht sein.“

Das in der Rückschau verklärte Griechenlandbild der Landser wurde von Kästner durch häßliche Flecken jedenfalls nicht verdunkelt. „Wir waren dem Untier Militarismus auf Haupt und Schultern geflogen und genossen die Aussicht von Herzen“, formuliert der Autor 1953 in Ölberge, Weinberge launig. Und bei dieser genußreichen Aussicht sollte es wohl auch bleiben, um jeden Preis.