Nordirlands Republikaner als Stummfilmstars

Thatcher-Regierung verbietet direkte Fernseh- und Radiointerviews mit Mitgliedern nordirischer Untergrundorganisationen / Erste Anwendung des Fernsehgesetzes zur Dauerzensur in Friedenszeiten / Lautstarke, aber hilflose Proteste von Opposition und Medien  ■  Aus London Rolf Paasch

Das am Mittwoch von Innenminister Douglas Hurd im britischen Unterhaus verkündete Interviewverbot mit Mitgliedern nordirischer Untergrundorganisationen und deren „Sympathisanten“ hat in den davon betroffenen Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie in der Öffentlichkeit heftige Proteste ausgelöst.

Während Sprecher der verschiedenen Oppositionsparteien die Zensurmaßnahme als „kontraproduktiv“ und „nicht praktikabel“ kritisierten, verglich der Direktor der Bürgerrechtsorganisation „Article 19“, Kevin Boyle, das Interviewverbot gar mit Maßnahmen zur politischen Zensur in Südafrika. Der Chef der von dem Verbot besonders betroffenen republikanischen Partei Sinn Fein, Gerry Adams, hatte sich dagegen auf seiner letzten unzensierten Pressekonferenz am Mittwoch in Belfast überrascht gegeben, daß die Regierung Thatcher nicht auch noch die Berichterstattung über den Wahlkampf Sinn Feins verboten hatte. Zeitungen sind von dem Verbot nicht betroffen.

Obwohl das Verbot, „direkte Erklärungen“ der Untergrundorganisationen zu senden, auch die protestantischen Paramilitärs betrifft, kommt die Zensurmaßnahme einem „Lex Sinn Fein“ gleich. Die seit 1981 mit ihrer Parallel-Strategie des bewaffneten und parlamentarischen Kampfes als politischer Arm der „Irisch -republikanischen Armee“ (IRA) auftretende Partei konnte bei den Wahlen bisher rund elf Prozent aller Stimmen auf sich vereinigen. Damit vertritt sie über 40 Prozent der katholischen Bevölkerungsminderheit. Neben Gerry Adams, der als Abgeordneter für den Wahlkreis von West-Belfast seinen Sitz im britischen Unterhaus nie angetreten hat, stellt Sinn Fein in Nordirland 59 Bezirksräte. Im Gegensatz zu ihren protestantischen Gegnern hatten es die Republikaner bisher ausgezeichnet verstanden, die Medien in ihrem Sinne einzusetzen. Nicht zuletzt deswegen fordern die Vertreter der protestantischen Parteien seit Jahren das völlige Verbot von Sinn Fein.

Pressezensur auch in Irland

Welche Folgen der neuerliche Eingriff in die Ätherwellen haben wird, läßt sich am Beispiel der Republik Irland absehen, wo Sinn Fein-Vertreter schon seit den frühen siebziger Jahren nur noch als Stummfilmhelden auf dem Bildschirm auftreten dürfen. Statt dessen legen ihnen vorsichtige Reporter die eigenen Worte - selektiv und in indirekter Sprache - in den Mund. Begleitet von gelegentlichen Entlassungen wegen Übertretung der Zensurvorschriften hat diese Praxis in den irischen Funkhäusern zu einer Atmosphäre der Einschüchterung geführt. Während gewählte Bezirksräte von Sinn Fein, die sich auch in sozialen Fragen sehr engagieren, nicht einmal über die Probleme der örtlichen Müllabfuhr sprechen dürfen, belagern ihre „Sympathisanten“ die „Phone In„-Sendungen irischer Radiostationen, um wenigstens auf diese Weise republikanisches Gedankengut unters irische Volk zu bringen.

Für Nordirland als Teil des Vereinigten Königreiches hat Innenminister Hurd nach dem jetzt verkündeten Interviewverbot auch noch weitere „Anti-Terror-Maßnahmen“ angedeutet. So soll der Sinn- Fein-Partei die Finanzierung ihrer durchaus demokratischen Aktivitäten erschwert werden sowie das grundsätzliche Aussageverweigerungsrecht des „Terrorismus“ Verdächtigter beschnitten werden. „Indem sie der Erosion der Bürgerrechte in Nordirland zusehen, werden die Briten auch zu Hause an den Abbau ihrer bürgerlichen Freiheiten gewöhnt“, faßt der nordirische Anwalt Anthony Jennings in seinem Buch Justiz unter Beschuß die Auswirkungen der Unterhöhlung demokratischer Rechte in Nordirland auf die politische Kultur Großbritanniens zusammen.

Die erstmalige Anwendung eines Paragraphen aus dem Fernsehgesetz zur Etablierung eines dauernden Interviewverbots in Friedenszeiten erfolgt wenige Wochen vor der Vorstellung des Gesetzentwurfs der Regierung Thatcher über die zukünftige Ordnung des Rundfunk- und Fernsehwesens. Während die menschenverachtenden Exzesse einer zunehmend chauvinistischen Boulevardpresse toleriert werden, will Frau Thatcher die öffentlichen und privaten Fernsehstationen als letzte Bastion einer schwindenden liberalen Öffentlichkeit mit aller Macht ökonomischer Liberalisierung und staatlicher Aufsicht brechen.