Kritiker in Stein gemauert

■ Grundsteinlegung für den Fallturm „Bremen“ / 144 Meter hoher Turm soll Wahrzeichen für die naturwissenschaftlich orientierte Universität werden

„Guter Rath ist teuer“, wird derzeit an der Universität gekalauert. Rath, der heißt vollständig Hans J. Rath und ist Professor Dr. Ing. und Leiter des Zarm, was wiederum „Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologien und Mikrogravitation“ bedeutet. Was den Rath so kostspielig macht, das ist der Fallturm „Bremen“, und der wurde gestern an der Universität zum ersten Mal gefeiert, per Grundsteinlegung.

Der 144 Meter hohe Turmbau zu Bremen soll das alles überragende sichtbare Zeichen werden für die Veränderung einer geisteswissenschaftlich orientierten roten Kaderschmiede zum weithin anerkannten, natur- und technikorientierten Wissenschaftsbetrieb. Anerkannt vor allem auch von der Industrie, ohne deren Engagement der Fallturm wohl Wunschvorstellung geblieben

wäre. Krupp Atlas Elektronik und MBB/ERNO beteiligen sich neben dem Bund und dem Land Bremen an der Finanzierung des Turmes, in dem unter Bedingungen wie in einer Raumfähre Material- und Grundlagenforschung für die Weltraumfahrt betrieben werden soll.

Kein Wunder, daß bei soviel Anerkennung die senatorischen Grundsteinleger Horst-Werner Franke und Eva Maria Lemke -Schulte vor guter Laune schier bersten wollten. Lemke -Schulte, „das höchste, was mir heute widerfährt“, wollte gar mit Franke

in die Vakuumfallröhre (3,50 Meter Durchmesser), was dieser mit nachdenklichem Kopfwackeln quittierte. Etwas wird sich die Senatorin für Stadtentwicklung noch gedulden müssen, denn bis der Beton gegossen, die Stahlröhre eingebaut ist und Experimente beginnen können, wird es Herbst 1989 werden.

Franke indessen trieb etwas anderes um: Die augenzwinkernd vorgetragene Sorge, daß die SPD-Genossen auf einem Landesparteitag beschließen könnten, den Turm nicht in Betrieb zu nehmen. Wenn, ja wenn die

Presse schriebe, daß im Turm für militärische Anwendung geforscht würde. „Wir entsprechen hier am nächsten einer friedfertigen Nutzung des Weltraumes“, behauptete er.

Einer der schärfsten Kritiker der Weltraumforschung, der Genosse Henning Scherf, darf sich darüber freuen, jetzt im Grundstein verewigt zu sein und ausgerechnet in einem Exemplar der taz, das mit eingemauert wurde. Franke gab der Zuhörerschaft sichtlich amüsiert die Schlagzeile bekannt: „Wer lügt, Scherf oder Tepperwien.“

hbk