Individualismus statt Sozialismus

■ Neue DDR-Kunst im Gerhard-Marcks-Haus bis zum 13.11. / Auf einer Atelierreise entdeckte BRD-Galerist, daß auch DDR-KünstlerInnen das Persönliche über das Politische stellen

Rot, schmerzhaft und aggressiv, viel Rot, das die Körper einhüllt und nur die kreideweißen Gesichter übrig läßt. Aufruhr am Himmel, helles Licht bricht am Horizont ein, Flugzeuge stürzen herab. „Flieger“ hat Angela Hampel ganz lapidar dieses wütende Aufbegehren gegen einen - warum auch immer - erzwungenen Rückzug in sich selbst genannt. Aber ist dieser Rückzug nicht eigentlich klar? Schließlich ist die Malerin DDR-Künstlerin, keine emigrierte, sondern eine, die in Dresden lebt und arbeitet. Und DDR-Kunst, impliziert die nicht entweder versteckte Kritik am System oder im Gegenteil die sozialistisch-realistische Lobpreisung desselben?

Die Klischees greifen schon lange nicht mehr, Zeichen der Veränderung dringen jedoch nur begrenzt in den Westen. Die Ausstellung „Junge Kunst in der DDR“ läßt keinen Zweifel, daß gerade die jungen DDR-KünstlerInnen das Persönliche über das Politische stellen, individuell Menschliches und privates Erleben wie hierzulande auch zum Bildthema erheben. Das ist nicht

so überraschend, wie es scheint, schließlich wird hinter so mancher geschlossenen Ateliertür anderes gemalt, als es der offizielle Kulturbetrieb fordert. Gezeigt werden darf solche persönliche Kunst in der DDR jedoch erst seit kurzem.

Ausstellungen, die in den Westen reisen, bieten vorrangig die Etablierten wie Heisig, Sitte oder Tübke, die immerhin noch den gesellschaftlichen Bezug im Blick haben und auch malen. So ist das eigentlich Überraschende an der jetzigen Ausstellung, daß sie durch Verhandlungen mit dem Staatlichen Kunsthandel der DDR zustande kam. Bevor es soweit war und die Bilder schließlich von der Niedersächsischen Sparkassenstiftung angekauft werden konnten, war der Hannoversche Galerist Robert Simon mit zwei Kollegen der Stiftung durch die DDR-Ateliers derer gereist, die noch wenig bekannt sind und hat ausgesucht, was ihm gefiel.

Die Atelierreisenden fanden, daß sich im Osten ähnliches tut wie im Westen: Sinnlichkeit und Gefühl statt Ratio und Ideologie

dominieren die Bilder im Gerhard-Marcks-Haus. Auffällig ist die Souveränität, mit der ein/e jede/r KünstlerIn den Umgang mit Farbe und Stift, mit Perspektive und Pinsel beherrscht. Figürlichkeit wird nach allen Regeln der Kunst variiert: Steffen Fischer zeigt bizarre Akte, in nervösen Linien und eiligen, fast atemlosen Tuscheflecken. Die zunächst ungegenständlich wirkenden schwarzen Felder in den Lithografien von Michael Hengst erweisen sich als Köpfe und klobige Hände, die die Betrachter verscheuchen wollen. Auf die einzelne Figur konzentriert sich auch Thomas Merkel, der schwarz-grau nuancierte Blöcke tuscht, in denen knappe Umrisse sitzende Menschen zeigen. Neben den farbig reduzierten Arbeiten dieser drei Künstler dominiert Farbenvielfalt bis hin zur Farbgewalt wie in den klassischen Fleischstücken von Jürgen Wenzel.

Menschen, gefangen in sich selbst, in den Städten, im Glimmer der Straßen, im Dunkel des Unnennbaren - Themen wie sie vielerorts gültig sind.

Beate Naß