REISELUST

■ Die Neuköllner Oper feiert in Taberna

Als Goethe Hals über Kopf oder auch bei Nacht und Nebel die deutschen Lande verließ und sich auf die Reise machte, trieb ihn die Sehnsucht nach dem Ort, wo die Zitronen blühen.

Und so ist es eigentlich immer noch. Man macht sich auf, packt die Koffer und die Karten, fährt, guckt und sucht, und irgendwann kommt man bei Dämmerung in eine kleine Stadt, riecht die fremden Düfte, sieht die trunkenen Farben, die in der blauen Stunde gemischt werden und weiß, man ist angekommen. Dies ist der Ort, wo man noch einmal neu beginnen kann, wo das Leben plötzlich wieder zu spüren ist. Die einfachen Dinge, das schlichte Essen, der billige Wein, all diese kitschigen Klischees aus den Berichten anderer lassen sich genau hier - an diesem Ort - noch einmal neu erleben.

Hier ist in Taberna. So nennt die Neuköllner Oper ihre Inszenierung der Carmina Burana, bei der Ohren-Kurzweil, Augen-Lust und Gaumen-Freude aus mittelalterlicher Zeit auf ihre Kosten kommen und sich für das Publikum zu einem Festrausch steigern. Unter der Regie von Yella Burggaller ist es der professionell musizierenden Gruppe um Winfried Radecke gelungen, die Atmosphäre eines mittelalterlichen Gasthauses mit falstaffscher Ausgeglichenheit zu erzeugen. Durch die szenische Umsetzung der einzelnen, aus dem Zyklus herausgelösten Lieder, verbunden durch eine scherzhafte Rahmenhandlung um den Trunkenbold Pimpernello, der beständig vom Ensemble vor seinem besten Freund und Feind, dem Wein gerettet werden muß, steigern sich die romantischen und komischen Gesänge, die von der Liebe und anderen guten Dingen des Lebens erzählen, zur verführenden Sinnenlust. Vollständig gelingt dies, als den Gästen der Taverne neben Ohren-und Augen- auch noch die Gaumenfreuden nach mittelalterlicher Art bereitet werden. Nach vielen Scherzen über die Fastenzeit und dem Gesang eines kostümierten Wildschweines „Ich war berühmt für meine Kraft,/Manch Wildsau war in mich vergafft,/Nun lieg ich still und lasse Saft. Wehe, wehe, ich vergehe, schwarzgebrannt von Kopf bis Zehe!“ wird endlich das duftende Spanferkel in den Raum getragen, flugs vom mittelalterlichen Fürschneider zerlegt und jedem ein großes köstliches Stück serviert. Als dann am Ende des Abends die Besucher der Neuköllner Oper mit ihren Steingutbechern auf die Holzbänke trommeln und Zugaben verlangen, ist schon nicht mehr zu entscheiden, welche der Sinnenfreuden jetzt die Inszenierung zu einem Fest „In Taberna“ gemacht hat.

Susanne Raubold

Wiederaufnahme im November