Der Frust als Chance

■ 10 Jahre arbeiten bis zur Erschöpfung / taz-Serie Teil 2 / von Gerd Nowakowski

10 Jahre Selbstverwaltung sind auch jahrelange Selbstausbeutung. Arbeit wurde von den Kollektiven lange Zeit nicht als Anstrengung gesehen, sondern nur unter dem Gesichtspunkt der Selbstverwirklichung betrachtet. Daß der 8 -Stunden-Tag und die 5-Tage-Woche eine durchaus sinnvolle Einrichtung sind, begriffen viele erst, als sie sich wunderten, daß ihnen die Kräfte ausgingen.

Da hatte W. den ganzen Tag Säcke gestapelt, Kunden beliefert, war im Bio-Laden herumgesprungen und abends, grau im Gesicht vor Erschöpfung, konnte er dem Fragesteller noch erklären, warum ihm solcher Streß nichts ausmacht: „Das Schöne ist, daß du was Ganzheitliches machst. Du hast das, was du machst, von Anfang bis Ende in der Hand.“

Das war Original-Ton eines Kollektivisten - allerdings aus dem Jahre 1981. Heute klingt das, als stamme der Spruch aus dem Selbstausbeutungswunderland, irgendwo fern hinter dem Horizont gelegen, Hort der Legendenbildung, die keiner mehr verstehen kann, der nicht selber mit dabei war.

Die Erzählungen der Selbstverwalter von „damals“ sind wie Papis Lamento vom Krieg, die auch keinen mehr interessieren. Zum zehnjährigen Jubiläum vieler Projekte ist eine besondere Strahlkraft jedenfalls kaum auszumachen. Im Gegenteil; es erzeugt eher ein mitleidiges Lächeln, wenn jemand gesteht, er sei selbstverwalteter Unternehmer - als hätte man es im Leben nicht ganz geschafft. Ob die Bilanz der einzelnen Betreibe positiv ist oder nicht und daß sie den langen Marsch überstanden haben, reißt keinen vom Hocker, und genau dies kennzeichnet die Krise der Selbstverwaltung: Sie ist nicht länger Kronzeuge eines positiven Gegenentwurfs zur kapitalistischen Arbeitswelt. Überleben allein reicht nicht mehr.

In den Anfängen der Kollektive sollte das Leben eine Einheit zwischen Arbeit und „Leben“ darstellen, wobei letzteres alles war, wozu ein rechter Kollektivist eh nicht kam. Denn die Tage und in manchen Fällen auch die Nächte spielten sich im und um den Betrieb ab. Das Kollektiv war Lebensmittelpunkt in einer Ausschließlichkeit, neben der nichts anderes Platz hatte, noch haben sollte. Der Aufenthalt im Projekt war Arbeit, Privatleben und politische Arbeit zugleich. Die Projektarbeit an sich war politisch und jeder Handgriff ein Schritt zur gesellschaftlichen Umgestaltung. Dem Geld fiel folgerichtig eine untergeordnete Rolle zu, zumal das Lebenshaltungsniveau wie selbstverständlich das Leben in der Wohngemeinschaft - am besten noch mit Mit-Kollektivisten - voraussetzte.

Erst die Erkenntnisse der Sportmedizin, daß exzessiver Langstreckenlauf durch die Ausschüttung von besonderen Hormonen eine Art Bewußtseinstrübung wie nach Drogengebrauch hervorruft, geben Aufschluß über den damaligen Seelenzustand der Beteiligten. Die Außenwelt existierte nicht, und dennoch machte diese Ausschließlichkeit in hohem Maße die positive Außenwirkung aus.

Die ständige Sorge um die gefährdete Existenz des Betriebs, die dünne Kapitaldecke, die Suche nach der „richtigen“ Gesellschaftsform, die Schwierigkeiten, solidarische Kunden zu finden, denen die Finanzierung der eigenen Lehrzeit durch die Bezahlung knapp gebrauchsfähiger Produkte zugemutet werden konnte, füllte die Tage bis zum Rand.

Jeden Tag vor dem Nichts stehend, gab es eigentlich nichts zu diskutieren; man tat es dennoch mit Hingabe. Die Selbstverwalter stritten sich erbittert über Bedürfnislohn versus Gleichlohn - ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, daß Bedürfnislohn vor allem voraussetzt, die Grundbedürfnisse erfüllen zu können. Bei der Mehrzahl der Projekte, die nicht einmal in der Lage waren, ihren Mitgliedern mehr als 800 bis 1.000 Mark zu bezahlen, erinnerte dies an Bettler, die unter der Straßenbrücke sitzend ihren nächsten Schlemmer-Besuch im Nobel-Restaurant planen.

Aber für die Beteiligten war dieses Verhalten nicht so absurd, wie es mit acht, neun Jahren Abstand erscheinen muß. Was Schwäche war an der neuen Bewegung, wurde notwendigerweise von den Protagonisten nicht so wahrgenommen. Im Gegenteil: weil man nur sich selbst wahrnahm, erwuchs daraus die Illusion einer Stärke der Selbstverwaltung, der alsbald überall der Durchbruch bevorstand: der neue Mensch und die Lösung der Massenarbeitslosigkeit - kein Problem. Der Kapitalismus war der Dinosaurier, der reif war zum Aussterben.

Diese grenzenlose Selbstüberschätzung vermochte es, den neuen Wirtschaftswunderkindern eine breite Aufmerksamkeit der Medien zu sichern, was dann in Vollendung des Kreislaufs wiederum das Selbstvertrauen förderte. Zusammenstöße mit der kritischen Umwelt konnten mühelos verdaut werden. Interessierte Gewerkschafter blieben bei Begegnungen immer als konservative Bewahrer des Kapitalismus auf der Strecke. Deren Einwand, die Arbeit im Kollektiv könnten sich die Normal-Beschäftigten mit eigener Familie nicht leisten, blieb ohne Gehör.

Nur die Unternehmer selbst fanden alsbald Interesse an den neuen Kapitalisten, die ohne Betriebsrat und Gewerkschaften das survival of the fittest probten.

An dieser - von außen scheinbar noch bestätigten Selbstüberschätzung leiden wir immer noch. Darüber ging nämlich eines verloren: das Wissen um den Ausnahmezustand, in der diese Entwicklung vonstatten ging. Das selbstverwaltete Arbeiten war eine tägliche Umwälzung, die nur mit einer ständigen Selbstüberforderung zu leisten war. In einer Revolution ist einzig Raum für die Improvisation und das große Ziel, nicht für die festgefügte Organisation, weil das Morgen bereits neue Fragen stellen wird. Die Überführung dieses Aufruhrs der Anfangszeiten in das täglich lebbare Neue ist den Kollektiven schlecht, oft gar nicht gelungen. Weil dies nicht gelang, entkräftete es die Menschen, saugte sie aus, spuckte sie nach ein, zwei Jahren als leere Hülle aus. Das gab es in vielen Projekten, auch in der taz.

Zwangsläufig hat die Kollektivarbeit viel von ihrer einstigen Attraktivität verloren und ist ein lebensgeschichtliches Getto zwischen den Generationen geblieben: denen vor uns ebenso gleichgültig wie der Generation hinter uns.

Zumeist schleppt eine Gründergeneration der über Dreißigjährigen noch immer ihren Traum vom anderen Arbeiten mit sich herum; der Nachwuchs aber hat für sich längst schon Konsequenzen gezogen. Selbständig wollen sie sich natürlich auch machen, aber am liebsten Boß sein. Sie setzen gleich auf das bürgerliche Gesetzbuch und die GmbH-Paragraphen als auf das Erscheinen des neuen, solidarischen Menschen.

Denn was damals noch lustvolle Lebensintensität war, ist längst der täglichen Fron gewichen. Zwar haben sich viele Betriebe wirtschaftlich konsolidiert, die Grundprobleme aber sind geblieben. Fast meint man, die Kollektive wären bloß Stichwortgeber für die Unternehmensstrategien der neunziger Jahre gewesen und die Kapitalisten hätten mehr gelernt aus der Geschichte der Selbstverwaltung als ihre Akteure selbst. Das Kapital hat die „corporate-identity“, das „Wir„-Gefühl des Unternehmens entdeckt und macht viele Anstrengungen, Bereiche, in denen es auf die Motivation der Beschäftigten ankommt, dezentral zu organisieren und Vielfalt und Kreativität zu erzeugen. Der Kapitalismus probt die Menschlichkeit, natürlich nicht am Fließband, aber überall dort, wo mit der Ganzheitlichkeit der abhängig Beschäftigten Profit zu machen ist. Flexible Arbeitszeiten, Langzeiturlaube und zusätzliche Sozialleistungen, all die Pluspunkte der undogmatischen Selbstverwalter, gibt es jetzt bei „normalen“ Unternehmen auch: und die Einkommen liegen einige Gehaltsklassen höher. Das gilt nicht nur für die vor etlichen Jahren noch unbarmherzig als fünfte Kolonne des Kapitals entlarvten „partnerschaftlichen“ Unternehmen.

Die Kollektivis wirken dagegen verstaubt. Wenn die Lust und die Kraft an der Ganzheitlichkeit schwindet, springt die Dürftigkeit der Inszenierung schnell ins Auge. Wen wundert die immense Fluktuation, eine direkte Folge des permanenten Mangels bei der Betriebsausstattung und den Einkommen. Eine Professionalisierung hat nur an den Einzelarbeitsplätzen stattgefunden, nicht aber den Gesamtorganismus reformiert. Konsumverzicht ist immer noch angesagt, nun allerdings nicht mehr als selbstgewählte Lebensform, sondern von den leeren Kassen bestimmt.

Vielen ist kollektives Arbeiten zu anstrengend geworden, um es über die Jahre aushalten zu können. Da braucht es oft einen normalen Betrieb, um Luft zu holen, sich ausruhen und sich von den Schulden zu befreien, die sich beim Jonglieren am Existenzminimum angesammelt haben. Man wandert ab mit schwerem Herzen - doch zurückgekehrt sind die wenigsten.

Nicht nur die Arbeit im Kollektiv ist den Menschen zu anstrengend geworden; auch die Vielzahl von täglichen Lebenslügen höhlt die persönliche Bilanz aus. Der ganzheitliche Traum von der Verantwortung für alle Bereiche ist zum Alptraum geworden. Die tatsächliche Stärke der Kollektive und ihr Kreativitätspotential werden systematisch im täglichen Gewurstel verschenkt. Der Leitstern der Gleichheit zeigt seine Kehrseite, hinter der sich Ungleichheiten und heimliche Hierarchien entwickelt haben. Der formalen Gleichheit hat sich eine faktische Ungleichheit gegenübergestellt; jene, die Verantwortung übernehmen, treffen auf GenossInnen, die klug kalkulieren, daß Verantwortung nur Mehrarbeit bedeutet. Logisches Ergebnis dieser Entwicklung ist der Kleinunternehmer, der „seinen“ Betrieb durchzieht mit vielen Jobbern, die sich im Kollektiv besser durchmogeln können als im Normal-Betrieb.

Daß Selbstverwaltung ein Experiment ist und das betretene Neuland lang beackert werden muß, war den Akteuren schon bewußt - in die betriebliche Praxis aber hat dies Wissen keinen Eingang gefunden. Die Betriebe wurden anfangs nur als Übergang organisiert, nicht als Lebensperspektive für ihre „Unternehmer“. Wer konnte (oder wollte) sich auch schon vorstellen, fünf, zehn oder gar zwanzig Jahre im selben Betrieb zu arbeiten? Wer wagte zu formulieren, daß auch selbstverwaltetes Arbeiten nur ein Bestandteil des Lebens ist? Das Ergebnis der unterbliebenen Annäherung an eine überlebbare Revolution war deshalb eine Individualisierung, die zumeist die Befreiung vom Kollektiv bedeutet.

Je anstrengender, je unbefriedigender die Arbeit im Kollektiv wurde, um so mehr kam den Kollektivos auch wieder die übrige Welt in den Blick. Diese Umorientierung geschah als individueller Prozeß, oft mit schlechtem Gewissen. Familien mit Kindern erzwingen eine andere Lebensökonomie; auch private Interessen und neue politische Betätigungsfelder kosten Zeit, die nicht mehr für den Betrieb zur Verfügung steht. Andererseits hat gerade die dauernde Überlastung zur Entpolitisierung der Kollektive beigetragen.

Eine Antwort auf diese anderen Orientierungen ist die Selbstverwaltung noch schuldig geblieben. Dennoch steckt hier eine Chance, möglicherweise die letzte. Der Nimbus des Außergewöhnlichen, den wir vor uns hergetragen haben, hat sich längst gegen uns gewandt: Kollektivarbeit muß man sich immer noch leisten können, das ist ein Ladenhüter, den wir frech als Luxusgegenstand preisen. Damit die Idee eines anderen Arbeitens aber überleben kann, muß aus dem Kollektivbetrieb erst einmal etwas „Normales“ werden. Nur auf diesem Weg kann er wieder attraktiv werden. Deshalb hat der Frust der Kollektiv-Arbeiter auch etwas Gutes; er könnte nämlich ein Grund sein, endlich anzufangen, die veränderten Lebensentwürfe und Bedürfnisse in den Arbeitsalltag zu integrieren. Wenn die Kollektivarbeit nicht mehr im Mittelpunkt des Lebens steht, hat die Arbeit ihren angemesssenen Platz erhalten. Anders arbeiten hat innerhalb der 35-Stunden-Woche und darunter stattzufinden: an netten Arbeitsplätzen mit geregeltetem Urlaub, verkürzter Arbeitszeit für Eltern, sozialer Absicherung und mindestens Tariflohn. Nicht der Heiligenschein oder totale Opferbereitschaft dürfen der Maßstab sein, sondern die untere Latte ist der Versorgungsstandard des Normal -Betriebs. Erst dann wird Kollektivarbeit eine wirkliche Alternative. Wenn die Selbstverwalter nach zehnjähriger Anlaufzeit das nicht leisten können, dann muß freilich auch ihre Berechtigung angezweifelt werden.

Gerd Nowakowski