Von Würde und „Würde“

■ Polizeipräsident Schertz diskutierte mit Senioren und sozialdemokratischen Polizisten über Polizei und Presse / Polizisten zwischen Selbstkritik, Selbstverteidigung und Dialogbereitschaft

„Bei den Übergriffen während der IWF-Tagung gab es strafbare Handlungen, begangen von Straftätern in Uniform. Sie werden aber nur selten zur Verantwortung gezogen. Daß es nun 24 Strafanzeigen gegen Polizisten gibt, ist eigentlich ungeheuerlich. Aber man weiß ja, wie das dann weitergeht. Von 20 Strafanzeigen vom Mai dieses Jahres ist bisher noch nicht ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.“

Wer dies im Beisein seines obersten Dienstherren öffentlich vortrug, war nicht etwa einer dieser ewig nörgelnden linken Polizeikritiker, sondern ein Polizist aus der Jungen Gruppe der Gewerkschaft der Polizei. Man könne doch nicht plötzlich betonen, daß die Polizei gut gearbeitet habe, weil dies der Normalfall zu sein habe, so der junge Polizist.

Vor Fototapete, in einem mit Girlanden geschmückten Raum eines Seniorenheims in Kreuzberg hörten sich am Donnerstag abend die Senioren und Polizisten an, was ihnen Polizeipräsident Schertz, SPD-Genossen und ein Pfarrer zum Thema Polizei und Presse zu sagen hatten, und beteiligten sich dann rege an der Diskussion. Von den kritischen jungen Polizisten bis hin zum Lob für den angeschlagenen Innensenator waren aus dem Publikum eine ganze Bandbreite von Meinungen zu hören, dazu geeignet, „geliebte Feindbilder“ (Podiumsteilnehmer Rechtsanwalt Klaus Eschen) durcheinander zu bringen.

Gar nicht einverstanden mit den Jüngeren war zum Beispiel ein älterer Polizeibeamter. Innensenator Kewenig sei der einzige, der sich vor die Polizisten stelle, während die anderen den Wahlkampf auf dem Rücken von Polizeibeamten austragen. Und deshalb habe er auch an Walter Momper geschrieben, um von ihm zu erfahren, wie er es mit der Polizei halte. Aber selbst der Ältere regte sich über die EbLT auf. Wenigstens deren unheilvoller Korpsgeist müßte abgeschafft werden. Der Vorsitzende der Sozialdemokraten in der Polizei, Jörg Kramer, schämte sich für polizeiliches Verhalten in der Gitschiner Straße, Klaus Eschen sprach von nachdenklichen und kitischen Polizisten, die er kennengelernt habe.

Die Polizei sei wie ein Eimer. Wenn 90 Prozent eines Eimers intakt sind und er hat ein Loch, dann ist es das Loch, das ihn außer Funktion setzt. Deshalb müsse man über das Loch reden. Ein Beamter, der sich darüber ärgerte, daß immer die Polizei beschimpft wird, erregte sich im gleichen Atemzug über die polizeilichen Hände vor journalistischen Kameras.

Die Schertzschen Ausführungen zur „zeitlichen und örtlichen Verzögerung von Pressefreiheit“ von einigen „unglücklichen Angelegenheiten“, kritisierte Pfarrer Minthe als gefährliche „semantische Vernebelungen von Sachverhalten“ und faßte damit den Redebeitrag des Polizeipräsidenten prägnant zusammen. Als daraufhin nun wieder jemand die Würde von Polizeibeamten einklagte, wurde es einem seiner Kollegen zu bunt. Er rief dazwischen: „Der Kewenig kennt den Begriff Würde doch nur als Konjunktiv!“

RiHe