Die nächste Flutkatastrophe ist gewiß

Die Überschwemmungen im Sudan und Bangladesh spülten viel politischen Morast ans Tageslicht / Auch Katastrophen treffen ihre soziale Auswahl / Nicht der viele Regen trägt die Schuld an den Überschwemmungen / Die weitere Abholzung der Wälder verstopft die Wasserläufe durch ausgewaschenen Boden  ■  Von Hans-Werner Gemein

Das Wasser ist zurückgegangen, die Sedimente der Flutwellen bleiben. Und das gilt auch für den politischen Morast, der für kurze Zeit von den Überschwemmungskatastrophen in Bangladesh und im Sudan ans Licht der Weltöffentlichkeit gespült wurde.

Während in Karthoum, der Hauptstadt des Sudan, bei sinkendem Pegelstand des Nils die Aufräumungsarbeiten beginnen, beschäftigt sich das Parlament nicht etwa mit den Folgen der Katastrophe, sondern berät über die Einführung weiterer islamischer Gesetze. Unterdessen geht der Bürgerkrieg im christlich dominierten Süden weiter. Nur wenige Hilfsorganisationen haben es bisher geschafft, eine Transportschiene dorthin aufzubauen.

Politisch unbequeme

Flüchtlinge in Khartoum

Flüchtlinge aus dem Süd-Sudan, aber auch aus dem Westen, wo im vergangenen Jahr Pogrome der arabischen Bevölkerungsgruppen gegen die Volksgruppe der Dinkas bekannt wurden, hatten sich in Nord-Khartoum und in der angrenzenden Schwesterstadt Omdurman am Nilufer niedergelassen. Sie gehören zu den am härtesten betroffenen Opfern der Überschwemmungen. Auch Katastrophen treffen ihre soziale Auswahl. Die Ziegelbauten der Wohlhabenderen hielten den Flutwellen stand. Die Hütten und Lehmbehausungen der Armen haben sich in den Wassermassen aufgelöst.

Jetzt plant die Regierung ein Wohnungsbauprogramm. Das macht sich gut, hat aber einen Schönheitsfehler: Die politisch unbequemen Flüchtlinge sollen weit außerhalb der Stadt angesiedelt werden. Da hat man sie unter Kontrolle. Darüber, wie die Menschen zu ihren Arbeitsplätzen, zu ihren Straßenständen oder Bettlerposten kommen, kurz, wovon sie sich ernähren sollen, diese Frage gehört nicht zum Programm. Kein Wunder also, wenn sie just an die Plätze zurückkehren, wo sie vor einigen Wochen alles verloren haben. Offiziell gibt es diese Flüchtlinge gar nicht. Da sie keine Staatsgrenzen überschritten haben, ist auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen für sie nicht zuständig. Ihre Zahl wird inzwischen auf über eine Million geschätzt.

Die Flut hatte einmal mehr eine internationale Hilfswelle in Gang gesetzt. Diesmal waren es vor allem die arabischen Staaten, allen voran Saudi-Arabien, die ihre Hilfsflugzeuge nach Khartoum schickten. Dagegen nahmen sich die Hilfsflüge der westlichen Staaten geradezu bescheiden aus.

Wo sind die Hilfsgüter

geblieben?

Jetzt fragen sich viele, wo all die Hilfsgüter geblieben sind. Von Beschlagnahme durch die Armee und von Korruption war die Rede. Die Erklärung ist einfacher: Die geschätzten 400 Flugzeuge, die seit Anfang August gelandet sind, schafften gerade 8.000 Tonnen herbei, was etwa drei vollgeladenen Eisenbahnzügen entspricht. Aber das ohnehin schlecht funktionierende Eisenbahnnetz war durch die Flut lahmgelegt.

Mit dem Rückgang der Wassermassen sind die Probleme noch lange nicht beendet. In weiten Teilen des Landes wurden die Ernten vernichtet. Durch Eindringen des mit Exkrementen, Tierkadavern und Bakterien verseuchten Oberflächenwassers in die Brunnen wurde das Trinkwasser verunreinigt. Die Deutsche Welthungerhilfe und die medizinische Hilfsorganisation AMREF haben deshalb kürzlich vor dem Ausbruch einer neuen Hungersnot und einer Seuchenepidemie gewarnt. Schon jetzt grassieren unter der Bevölkerung Cholera, Typhus, Hepatitis, Durchfallerkrankungen und Malaria. In den Wassertümpeln finden die Anopheles-Mücken, die Überträger der Malaria, ideale Brutbedingungen. Trinkwasseraufbereitungsanlagen, teuer und nur von Fachpersonal zu bedienen, gibt es nicht. So müssen sich die Hilfsorganisationen darauf beschränken, Entkeimungstabletten und Salzlösungen gegen Durchfallerkrankungen zu verteilen und die Wassertümpel mit Insektiziden zu besprühen. Ein deutscher Arzt: „Präventivmedizin ist unter diesen Bedingungen unmöglich. Wir müssen uns aufs Löcherstopfen beschränken.“

Immerhin hatte die Hochwasserkatastrophe auch ihre positiven Seiten: Der Nilschlamm brachte den versandeten Böden die Fruchtbarkeit zurück. Und die Ägypter können sich die Hände reiben. Der aus dem Nilwasser gespeiste Assuan -Staudamm, der wegen der Trockenheit der letzten Jahre fast leer war, hat sich gefüllt. Die Turbinen liefern wieder elektrischen Strom.

Nicht der viele Regen

ist schuld

Die Hauptursache für die Desaster im Sudan und in Bangladesh sind nicht, wie immer wieder behauptet, die außergewöhnlich hohen Niederschläge. Sie haben lediglich ein Problem offenbart, das in manchen Entwicklungsländern künftig zu noch größeren Katastrophen führen könnte: die Abholzung. Kam im Sudan vielleicht noch die lange Trockenzeit hinzu, durch die die Bodenoberfläche nahezu wasserundurchdringlich gebrannt worden war, so kann davon in Bangladesh keine Rede sein. Vielmehr wurde in den Bergregionen die Waldvernichtung beschleunigt. Mit jedem Niederschlag wird mehr Boden abgewaschen, der sich zunächst in den Flußniederungen ablagert, wodurch der Wasserstand automatisch steigt. Auch die Eindeichung hat indirekt zur Überschwemmungskatastrophe beigetragen, weil damit natürliche Flutgebiete vom Wasserlauf abgetrennt wurden. Die Folge: Die Wassermassen konnten sich nicht verteilen, sondern traten mit eruptiver Gewalt über die Ufer.

Wenn die Abholzungsrate in den Himalayastaaten in diesem Tempo weitergeht, wird es in 25 Jahren, so schätzen Umweltexperten, keinen Wald mehr geben. Die meisten Bäume werden als Brennholz verbraucht, und die schnell wachsende Bevölkerung Nepals (sie wird sich im Jahre 2000 auf 30 Millionen verdoppelt haben) braucht neue Anbauflächen. Nicht geringe Schuld an der Umweltzerstörung haben aber auch die wachsenden Touristenströme. Die Sherpas, die heute als Gebirgsführer ihr Geld verdienen, hatten früher ausschließlich abgestorbene Bäume als Energiequelle benutzt. Heute schlagen sie ganze Waldstücke ab, um Feuerholz an die Trekker zu verkaufen.