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Spitzenkoch im Kampf gegen Wassertomaten

Grüne Anhörung zur Landwirtschaft im hessischen Landtag als Schnellkurs in Nahrungsmittelkunde  ■  Aus Wiesbaden Heide Platen

Sinnlichkeit sei angesagt im hessischen Landtag, sagte die grüne Abgeordnete und Landwirtschaftsexpertin Irene Soltwedel. Sie meinte eher die Sinne, die angesprochen wurden bei der Anhörung der Grünen, „Hessen nach dem Kälberskandal - Marktpartner nehmen Stellung“, die gestern morgen begann. Denn es mußte gegessen werden. Spitzenkoch Hans-Peter Wodarz schwang im Wiesbadener Landtag nicht nur den Kochlöffel, sondern auch eine entschiedene Rede gegen Massentierhaltung, genormte Nahrungsmittel und eine Verarmung des Geschmacks „inmitten scheinbarer Fülle“ der Nahrungsmittelproduktion. Er kochte verbal. „Laßt den Apfel wieder Apfel sein“ und „Kampf dem Einheits-Schwein“, wetterte Wodarz, der in Wiesbaden ein Feinschmeckerrestaurant betreibt. „Wir sind nicht die Köche der Reichen, sondern die Köche für Menschen“, zitierte er einen Kollegen und endete mit einem Brecht-Gedanken, daß dort etwas faul sei, wo die Genußsucht zu kurz komme. Seit zwei Jahren wehren sich 48 europäische Spitzenköche in der „Euro Toques“ gegen agrargenormte Fast food.

Beim Mittagsbuffett ging es ans Eingemachte. Wodarz präsentierte neben dunkelrotem Rind mit dickem gelben Fettrand ein wassersüchtig bleiches, weiches Fleischgebilde, neben einem stämmigen Freilandhuhn ein rachitisches Fabrikprodukt, neben EG-Wassertomaten kleine rote Liebesäpfel, Zartheit suggerierenden blassen Zuchtlachs neben sattrot seidig glänzendem Wildlachs und - natürlich Ente. Die Eßschule für JournalistInnen und PolitikerInnen war auf ABC-Schüler eingestellt. Den vom Koch-König verschmähten Ekel-Produkten verweigerte er schlicht die ebenso herzhafte wie dekorative Petersilie.

Eine heftige Ohrfeige erteilte der Vertreter der Fleischerinnung, Rudolf Münch, der hessischen Landwirtschaftsministerin Irmgard Reichardt (CDU). Münch wehrte sich gegen das „Schlachthofsterben“ in Hessen und forderte dezentrale Schlachthöfe, die von den Bauern der Umgebung mit artgerecht gehaltenen Tieren auf kurzen Transportwegen beliefert werden können.

Während der Anhörung bezogen auch ExpertInnen aus Ernährungswissenschaft, Tiermedizin, des Bauernverbandes, der „umweltkompatiblen“ Marketing-Beratung, des Bundesverbandes gegen Tierversuche und der Landwirtschaft Stellung. Sie wandten sich gegen Gentechnologie, Umweltzerstörung, Massentierhaltung und die Produktion ungesunder Nahrung. Gäste aus CDU und SPD betrachteten irritiert diese bisher ungewohnte Allianz.

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