Der Superzug ist abgefahren

Hochgeschwindigkeitsnetz für rosa Bahnzukunft / Bund will erstmals Schienennetz subventionieren Konkurrenzkampf für die Bahn wird 1992 härter / Eisenbahner für Ausstieg aus der Atomenergie  ■  Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) - Ein ehrgeiziges Hochgeschwindigkeitsnetz, das die Städte Paris, Brüssel, London, Amsterdam und Köln verbindet, soll der Schienenverkehr zukünftig attraktiver und dem innereuropäischen Luftverkehr Konkurrenz machen. Auf einen Zeitplan für das Mammutprojekt, das in zwei Etappen bis zum Jahr 1998 umgesetzt werden soll, einigten sich am Donnerstag in Frankfurt die Verkehrsminister aus sechs EG -Staaten. Die Kosten dafür belaufen sich nach einer Schätzung von 1984 auf rund zwölf Milliarden Mark. Mit der Fertigstellung des ersten Teilstücks ist nach den Worten von Hans Jürgen Huber aus dem Bonner Verkehrministerium im Mai 1993 zu rechnen. Zeitgleich soll dann auch der Tunnel unter dem Ärmelkanal für den Schienenverkehr zwischen Frankreich und Großbritannien freigegeben werden. Mit dem neuen Superzug soll die Fahrtzeit zwischen Köln nach Paris von bislang fünf auf dreieinviertel Stunden verkürzt werden.

Modernisierungspläne für die Deutsche Bundesbahn waren auch das zentrale Anliegen des 13. Gewerkschaftstages der Eisenbahner Deutschlands (GdED). Die von Verkehrminister Warnke (CSU) eingangs der Tagung gemachten Vorschläge fanden bei den organisierten BahnarbeiterInnen weitgehende Zustimmung. Warnke hatte in Aussicht gestellt, daß die Bundesregierung künftig die Zinslast der Altschulden (etwa 900 Millionen im Jahr) übernehmen und damit den defizitären Haushalt der Bundesbahn entlasten wolle. Weiterhin hatte der Verkehrminister eine Kostenbeteiligung des Bundes am Erhalt und Ausbau des Schienennetz vorgeschlagen. Mit diesen Zugeständnissen rannte der Minister sowohl bei den Gewerkschaftern als auch bei des Vorständen der Bundesbahn offenen Türen ein.

In den vergangenen Jahren hatte die Bahn wiederholt gefordert, daß der Staat - ähnlich wie für den Güterfernverkehr auf den Autobahnen - das Schienennetz finanziere und von den Benutzern Gebühren eintreibe. Mit dem Vorstoß des Verkehrsministers verbindet sich die Absicht, im Wettbewerb um den Güterfernverkehr der Bundesbahn Konkurrenzfähigkeit zu sichern. Mit der Einführung des erweiterten EG-Marktes wird der Konkurrenzdruck für die Schienenfahrzeuge ohnehin ungleich schärfer.

Bundesbahn-Chef Rainer Gohlke nannte die in Aussicht gestellten Bundeshilfen „eine revolutionäre Veränderung“, die sich die Eisenbahner schon seit Jahrzehnten gewünscht hätten. Aber er bremste seine Begeisterung: „Ich weiß, daß das noch nicht verabschiedet ist.“ Chancen für eine rosarote Bahnzukunft sieht auch er im Hochgeschwindigkeitsnetz und in einem erweiterten Angebot in den Ballungsgebieten.

Bundebahnminister Warnke erklärte in der heutigen Ausgabe des 'Bayernkuriers‘, er wolle sich dafür einsetzen, daß ab 1.Januar 1990 eine Straßenbenutzungsgebühr für LKWs eingeführt wird. Wenn nicht im EG-Rahmen möglich, dann notfalls als „nationale Maßnahme“.

Zum Ende des Eisenbahner-Kongresses in Nürnberg forderten die 353 Delegierten der unter Mitgliederschwund leidenden Eisenbahnergewerkschaft auch ökologische Weichenstellungen. In einem Antrag an den Vorstand der Bundesbahn verlangten sie den Verkauf der bahneigenen Aktien am AKW Neckerwestheim. Der Strombedarf der Bundesbahn solle zukünftig aus umweltfreundlichen Energieträgern gedeckt werden. Die GdED machte sich weiter für den Austieg aus den Atomenergie stark und forderte, die Projekte von WAA und Schnellen Brüter ersatzlos zu streichen. Darüber hinaus forderte der GdED-Kongreß, die Bundesbahn nicht als Zwischenlager für atomaren Müll zu mißbrauchen. Ein Vorfall wie der „Molke-Skandal“, bei dem Tonnen radioaktiv verstrahlter Molke ungeschützt und, ohne daß es die Mitarbeiter wußten, in Güterwagen gelagert waren, dürfe sich nicht wiederholen. Die gewerkschaftlich straff organisierten Eisenbahner haben auf dem Kongreß zuletzt beschlossen, die an der Organisationsbasis gesammelten Spenden auf „sicheren Kanälen“ der südafrikanische Eisenbahnergewerkschaft SARHWU zukommen zu lassen.