Gesinnungs-Gau Oberpfalz

Hausdurchsuchung bei 18jähriger in der WAA-Region mit abenteuerlicher Begründung / Weibliches Geschlecht als Indiz / Gesinnung als Tätermerkmal  ■  Von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) - „Sind Sie Fräulein W. und haben Sie das Schwarzbuch Franz Josef Strauß von Bernt Engelmann?“ Die achtzehnjährige Doris W. im 5.000 Einwohner Städtchen Pfreimd in der Oberpfalz ist perplex. Um sieben Uhr morgens, sie wollte gerade in die Schule gehen, stehen fünf Polizisten und der Staatsanwalt vor der Haustür. Die durchsuchen die elterliche Wohnung und nehmen Doris‘ Tagebuch, einen leeren Leitzordner und ein Blatt mit handschriftlichen Notizen mit.

Gesucht haben die Beamten jedoch etwas anderes. Fahnen des Freistaats Bayern und der Bundesrepublik Deutschland hat Richter Engelhardt vom Amtsgericht Schwandorf, Zweigstelle Nabburg, bei Doris W. vermutet, und auch: Sprühdosen und lackbeschmutzte Kleidungsstücke. Denn für ihn steht die Gymnasiastin im Verdacht, zusammen mit einem 15jährigen in der Nacht vom 3. auf den 4.Oktober die Flaggen vom Rathaus von Pfreimd geklaut und die örtliche Pfarrkirche sowie Gebäude im nahegelegenen Nabburg mit „männerfeindlichen“ und das Andenken des kurz zuvor verstorbenen Ministerpräsidenten Strauß verunglimpfenden Parolen. Da stand etwa geschrieben: „Männer regieren die Welt Fortsetung auf Seite 2

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„Männer regieren die Welt - Männer vergewaltigen Frauen Männer führen Krieg“ oder: „3.Oktober - neuer bayerischer Nationalfeiertag - Franz-Josefs Himmelfahrt“).

Aus seinen „konkreten Indizien“ gegen Doris W. macht Richter Engelhardt kein Hehl. Laut Durchsuchungsbeschluß ist es angesichts des „kämpferischen, aggressiven und emanzipatorischen Inhalts der Inschriften“ naheliegend, daß der Urheber eine Person weiblichen Geschlechts sei. Dazu kommt, daß Doris W. in Pfreimd wohnt und in Nabburg zur Schule geht, also Bezug zu beiden Tatorten besitzt. „Eine Reihe von Buchstaben sowie das Gesamtschriftbild ihrer Unterschrift im Personalausweis“ weise „beträchtliche Ähnlichkeiten“ mit den Inschriften auf. Zudem habe eine „zweifelsfrei als zuverlässig anzusehende Person, die verständlicherweise nicht genannt sein will“, in der fraglichen Nacht eine weibliche Person gesehen, die sich mehrmals umgesehen habe. Doch damit nicht genug. Wer Strauß beleidigt, muß auch Engelmanns „Schwarzbuch“ besitzen, folgert Richter Engelhardt. Ein derartiger Fund wäre bei Doris W. „immerhin deshalb wahrscheinlich, weil sie in dem, wenn auch nur sehr vagen, Verdacht steht, sich äußerst negativ“ über Strauß geäußert zu haben.

Für das „Infobüro Altenschwand“, Ermittlungsausschuß bei allen WAA-Aktionen, steht dieser Fall exemplarisch für die polizeilichen Aktivitäten in der Oberpfalz. Einerseits taktische Zurückhaltung wie bei der Großdemonstration letzten Sonntag, andererseits flächendeckende Ausforschung und Überwachung von WAA-GegnerInnen. Am Ende steht das Tätermerkmal „politische Gesinnung“.

Ganz davon abgesehen, daß Doris W. zur Tatzeit ein hieb und stichfestes Alibi hat, geht es ihrem Regensburger Rechtsanwalt Schwinghammer um die Art, wie Ermittlungsverfahren in der Oberpfalz eingeleitet und geführt werden. „Wer politisch abweichendes Verhalten zeigt, ist verdächtig.“ Im „Infobüro“ ist man sich sicher, daß nicht nur im Landkreis Lüchow-Dannenberg sondern auch in der Oberpfalz WAA-GegnerInnen in der polizeilichen SPUDOK-Datei (Spurendokumentationssystem) erfaßt udn gespeichert werden. Dort werden Personen- und Bewegungsprofile erstellt anhand der Fragen, wer, was, wo, wie und mit wem getan hat. Ist eine Person einmal derart erfaßt, öffnet dies Tür und Tor für Maßnahmen nach dem Polizeiaufgabengesetz. So wurden etwa 20 als WAA-GegnerInnen bekannte Personen vor der Demonstration gegen die rechtsextreme DVU in Passau am 18.September für die Dauer der Veranstaltung von morgens bis abends in „Schutzhaft“ genommen, obwohl gegen manche noch nie ein Ermittlungsverfahren gelaufen ist.