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Erzählungen aus Indonesien

■ Pramoedya Ananta Toers „Das ungewollte Leben“

Nicht aus Solidarität gilt es, diesen Erzählungsband des Indonesiers Pramoedya Ananta Toer zu lesen. Obwohl Solidarität in jeder Hinsicht verdient wäre. Sowohl mit dem Verlag, der sich mit dieser Veröffentlichung sicher keine goldene Nase verdienen wird, als auch mit dem Autor, der seit Jahrzehnten in seiner südostasiatischen Heimat politischen Repressalien ausgesetzt ist. Aber dieser womöglich falschverstandenen Solidarität bedarf es nicht. Die inhaltliche und literarische Überzeugungskraft der nun in westdeutscher Ausgabe (1966 bereits bei 'Volk und Welt‘ erschienen) veröffentlichten Erzählungen Prams, wie er meist kurz genannt wird, sind allein Grund genug, sich mit dem bekanntesten indonesischen Prosaautor vertraut zu machen.

„Das ungewollte Leben“ ist ein ausgesprochen angenehmes, schönes Buch. Man nehme sich Ruhe und ein paar Stunden Zeit an einem Sonntagnachmittag, lasse sich auf eine andere, aber, wie ich fand, gar nicht so fremde Welt ein und bald ist er da, der aufgeweckte, schwatzhafte kleine Junge, der partout in alle Dinge der indonesischen Erwachsenenwelt der 40er und frühen 50er Jahre seine Nase stecken muß. Der Junge ist niemand anderes als Pram selbst, der diese Erzählungen 1952 unter dem Titel „Geschichten aus Blora“, seiner Geburtsstadt in Mittel-Java, veröffentlichen ließ.

Aus der Perspektive eines Kindes, aber mit dem Wissen eines Erwachsenen stellt Pram in den ersten Erzählungen des Bandes das Alltagsleben der kleinen Leute jener Jahre dar. Bei den meisten ist das Geld knapp, Großvater Leman läßt sich als Mörder dingen, die junge Frau Siti wird zur Prostituierten, aber nach ihrer reuigen Rückkehr wieder von ihrem Mann aufgenommen, und natürlich gibt es auch weniger spektakuläre Fälle. Bei all dem ist es der einfache, schlichte Stil, die unprätentiöse Sprache, die einen die Kulturbarriere zu dem bei uns kaum bekannten indonesischen Archipel überwinden lassen.

„Inems Mutter verdiente ihr Geld durch Batiken. Diese Areit verrichteten viele Frauen unseres Viertels, die nicht auf dem Felde arbeiteten. Einige stellten Tücher her, die Armen aber nur Kopftücher, denn die wurden schneller fertig, und man bekam eher den Lohn“, lautet es prägnant in der vielschichtigen Erzählung „Inem“.

Wie Pram Klischees bei der Dastellung sozialer Konflikte fremd sind, ist ihm auch die blinde Heroisierung des indonesischen Freiheitskampfes zuwider. Es ging gegen die Holländer, die Japaner, dann erneut gegen die Holländer und gegen die Briten während der gesamten 40er Jahre. Das ist das andere Hauptthema in „Das ungewollte Leben“, wozu man im Nachwort sich einige tiefergehende Informationen gewünscht hätte. Für ihn stehen die Opfer, die seelischen und körperlichen Krüppel dieser Kämpfe, aber auch die Opfer des unabhängigen Indonesien im Vordergrund.

Diese unbequeme Haltung hatte ihn schon mit der Sukarno -Regierung in Konflikt gebracht. Nach dem Militärputsch vom Oktober 1965 wurde der Aktivist der linksnationalistischen Kulturorganisation LEKRA und Gorki-Übersetzer Pram einer von mehr als einer Million politischen Gefangenen, u.a. auf der berüchtigten Strafinsel Buru, wo er seine Tetralogie zur Formierung der antikolonialen Bewegung seines Landes zu Beginn dieses Jahrhunderts schrieb. Deren erster Band „Garten der Menschheit“ liegt beim gleichen Verlag bereits in deutscher Übersetzung vor, der zweite Band „Kinder der Welt“ soll in diesem Herbst erscheinen. In Indonesien sind diese Bücher verboten. Pram lebt seit Ende der 70er Jahre unter einem faktischen Hausarrest in Jakarta. Und als ihm in diesem Mai in einer indonesischen Tageszeitung („Suara Pembaruan“) die Möglichkeit gegeben wurde, in einem Brief auf gegen seine Person gerichtete Angriffe zu reagieren, ermahnte Diktator Suharto persönlich seinen Informationsminister, solche „kommunistische Propaganda“ zukünftig zu verhindern.

Frank Braßel

Pramoedya Ananta Toer, Das ungewollte Leben, Erzählungen, EXpress Edition, 250 Seiten, 29,80 DM

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