Lafontaine und Biedenkopf in trauter Harmonie

Aus dem geplanten Streitgespräch wurde ein Schulterschluß / Sozialdemokraten und Gewerkschafter in heller Empörung über Lafontaine-Thesen / Für den Saarländer ist weder die Sonntagsarbeit, noch Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich tabu  ■  Aus Düsseldorf J. Nitschmann

Die Jungsozialistin Nicole war regelrecht erschrocken, als sie ihren stellvertretenden Parteivorsitzenden, den saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine, nahezu zwei Stunden in einem als „Streitgespräch“ deklarierten Dialog mit dem CDU-Politiker Kurt Biedenkopf erlebt hatte: „Oskar, wo bist du denn gelandet?“ rief die junge Sozialdemokratin ihrem selbsternannten Partei-Vordenker erschüttert zu.

Weit über 1.000 GenossenInnen hatte „der Star von der Saar“ am Samstag in ein großes Zirkuszelt des kleinen Niederrhein -Ort Stenden gelockt, wo er sich nach den Vorstellungen der sozialdemokratischen Veranstalter einen politischen Schlagabtausch mit dem CDU-Rebellen Kurt Biedenkopf liefern sollte. Doch die beiden Querdenker trafen sich bei ihren Exkursen über „die Zukunft der Arbeit“ und „die Solidarität in der Gesellschaft“ irgendwo in der „dünnen Luft der Stimmigkeit“ (Biedenkopf). Der Saarländer suchte gezielt den Streit mit seinen eigenen Genossen über all jene Themen, die nach der höflichen Einschätzung des CDU-Professors „zu vorübergehenden Irritationen zwischen den Gewerkschaften und Oskar Lafontaine geführt haben“.

Diese Irritationen dürften sich noch weiter auswachsen, wenn Lafontaines jüngste Vorstellung im Stendener Zirkuszelt in den Gewerkschaftszentralen ausgewertet wird. Der saarländische Ministerpräsident ist offensichtlich fest entschlossen, bei der „Liberalisierung der Wochenendarbeit“ in dem von ihm regierten Bundesland Fakten zu schaffen: „Wenn bei mir im Saarland eine Firma für eine zusätzliche Schicht am Wochenende 200 Leute mehr einstellt, dann komme ich als Sozialdemokrat in Schwierigkeiten, da Nein zu sagen“, sagte Lafontaine unter den gellenden Pfiffen der GenossenInnen.

Es werde zukünftig immer mehr Arbeitsverhältnisse geben, wo von Freitag bis Sonntag gearbeitet werde und die Zeit von montags bis donnerstags frei sei: „Ist doch besser, man hat vier als zwei Tage frei.“ Während der CDU-Politiker Biedenkopf („Vollkommen richtig, was Sie da sagen“) seinem Widerpart immerzu höflich sekundierte, machten die sozialdemokratischen Gewerkschafter ihrem Unmut deutlich Luft: „Oskar, du bist auf dem Holzweg. Wir werden den Sonntag, Weihnachten und Ostern verlieren, und viele Familien stehen wieder ohne Väter dar. Doch Lafontaine machte nicht einmal mehr rhetorische Zugeständnisse an die aufgebrachte Gewerkschaftsklientel: Wer die Massenarbeitslosigkeit wirklich bekämpfen wolle, der müsse auch persönliche Opfer „im familiären und zwischenmenschlichen Bereich“ bringen. „Alles andere ist doch gelogen“, donnerte Oskar vom Podium herunter.

Immerhin. Drei Bedingungen stellte Lafontaine an die Enttabuisierung der Sonntagsarbeit: Es müsse für jeden Arbeitnehmer „Wahlfreiheit“ geben, ob er nun werktags oder lieber am Wochenende arbeiten wolle. Die Wochenendarbeit müsse zur Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen führen und spürbar besser entlohnt werden.

Auch das Reizthema „Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich“ belebte Lafontaine in Stenden neu. Jeder Gewerkschaftsfunktionär kämpfe heutzutage für den Überstundenabbau, verlange aber doch nicht ernsthaft, daß die Arbeitnehmer anschließend das gleiche Geld wie mit Überstunden bekommen sollten: „Was ist denn das anderes als Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich?“

Der Vorwurf seiner Genossen, der einst linke Hoffnungsträger stehe zwischenzeitlich fast an der Seite des Marktwirtschaftlers Biedenkopf, irritierte Lafontaine keineswegs: Natürlich bekenne er sich zur Wettbewerbs -Wirtschaft, weil die Staatswirtschaft „weniger Demokratie und Wohlstand“ bringe: „Dies haben inzwischen auch Gorbatschow und Deng Xiau Ping erkannt, da brauchen wir uns als Sozialdemokraten nicht zu schämen.“