AKW - ab nach Sibirien

Helmut Kohl hat bei seinem Moskau-Besuch einen Wunderknaben deutscher Wertarbeit im Gepäck, den er am heutigen Montag der Sowjetunion verkaufen wird. Der Knabe, vereinzelt auch schon als „Rennpferd“ gepriesen, wird von seinen Eltern gerühmt. Er verfüge über „einfache Technik, gutmütiges Störfallverhalten, leichte Bedienbarkeit, hohe Verfügbarkeit und einen flexiblen Brennstoffkreislauf“.

Der Wunderknabe ist der neue „Minireaktor“ des Firmenkonsortiums Siemens/KWU und Asea Brown Boveri. Mit der Unterzeichnung des Vertrags über die Lieferung des Hochtemperatur-Modul-Reaktors (HTR-Modul) fährt die deutsche Atomindustrie nach einem Jahrzehnt Sendepause ihr erstes Exportgeschäft ein. Siemens hat das Volumen des Auftrags auf rund eine Milliarde Mark beziffert. Allerdings stehen hier noch viele Fragezeichen im Raum, zumal die Sowjets einen Teil des neuen Atomkraftwerks selbst bauen wollen. Der HTR soll in Dimitrowgrad in Sibirien errichtet werden. Als Termin für die Inbetriebnahme nannte Siemens das Jahr 1996.

Mit dem Verkauf des HTR exportiert die deutsche Atomindustrie ein AKW, das bisher nur auf dem Plan existiert. In der Bundesrepublik soll der Minireaktor, der nur rund ein Zehntel der Energie eines großen herkömmlichen Leichtwasserreaktors liefert, nach einem neuen Verfahren durch die Hintertür („standortunabhängig“) genehmigt werden.

Die HTR-Modul-Anlage wird in der Sowjetunion als Pilotprojekt geplant. Eberhard von Koerber von Asea Brown Boveri sieht die neue Reaktorlinie bereits generell als „Energielieferant der Sowjetunion für die 90er Jahre“. Auch für die Sowjetunion gebe es zu diesem Reaktortyp der neuen Generation keine Alternative, sagte von Koerber.

Das Ökologie-Institut Darmstadt kritisierte gestern erneut das Propaganda-Märchen um den HTR-Modul. Bisher sei dies ein Papier-Reaktor, von dem niemand sagen könne, ob er jemals wirtschaftlich arbeite. Auch diese Reaktorlinie besitze ihre Sicherheitsrisiken, ihre Entsorgungsproblematik und ihre militärischen Implikationen.

Der Vertrag über den HTR und die deutsch-sowjetische Kooperation bei Entwicklung und Bau dieser Reaktorlinie wird heute unterzeichnet.

-man