Ein Plädoyer für neue Wege

■ Wer nicht versucht, die Spirale Droge - Kriminalität - Knast - Therapie an jeder Stelle zu unterbrechen macht sich an der Entwicklung mitschuldig / Stellungnahme des Ortsamtes Mitte/ Östliche Vorstadt

Da die Diskussion um Maßnahmen im Bereich der harten Drogen nur allzuoft unter dem Druck aktueller Ereignisse respective ihres Widerhalls in der Öffentlichkeit und dadurch allzuleicht lediglich an den Symptomen, an den für das soziale Gefüge mißliebigen Erscheinungsformen, geführt wird, gerät sie oft in Gefahr emotional aufgeladen und wenig sachdienlich zu verlaufen. 10 Millionen Bundesbürger tablettenabhängig ?

Beim Konsum von harten Drogen handelt es sich um die Spitze eines Eisberges, dessen Basis in dem gesellschaftlich anerkannten und weit verbreiteten Wunsch nach Manipulation der subjektiven Befindlichkeit besteht. Die Zahlen der Alkoholkranken und/oder Tablettenabhängigen sprechen eine deutliche Sprache.

Die Illegalität der Droge Heroin hat ursächlich dazu geführt, daß ein internationales Rauschgiftkartell den Markt diktiert und willkürlich ein Preisniveau festgesetzt hat, das den Süchtigen zwingt, zur Finanzierung seiner Sucht seinerseits straffällig zu werden (Beschaffungskriminalität, Beschaffungsprostitution).

An diesem Punkt muß sich der Staat, das Rechtssystem fragen lassen, ob nicht Legalisierung die einzige Möglichkeit darstellt, die internationale Rauschgiftmafia auszuhebeln und den Teufelskreis der Abhängigkeit und Kriminalität für den einzelnen Süchtigen zu durchbrechen, nachdem es offensichtlich unmöglich ist, den Anbau und die Vermarktung des Rauschgiftes wirkungsvoll einzuschränken. Frei erhältlich in Apotheken wäre ein Preis von 15 bis 20 Mark pro Gramm durchaus realistisch.

Legalize it!

Wenn die empörten Aufschreie, die an diesem Punkt der Betrachtung zwangsläufig erfolgen müssen, verklungen sind, sollte man mutig genug sein, den Gedanken moralinfrei weiter zu verfolgen.

Die ständig freie Verfügbarkeit von sauberem „Stoff“ zu erschwinglichen Preisen würde neben dem rapiden Rückgang der

Beschaffungskriminalität/ Beschaffungsprostitution ein weiteres, momentan sehr ernstes Problem lösen: die Überbrückung der „stofflosen“ Zeit durch eine Vielzahl von Medikamenten mit teilweise erschreckenden Folgeschäden würde entfallen. Diese Polytoxikomanie ist deutlich Hauptursache für den Großteil der heutigen Todesfälle.

Aber damit nicht genug, wenn die Droge den Odem des Verbotenen, des Heimlichen, des Anti-Staatlichen verlieren würde, so würde der unselige innere Zusammenhalt der „Drogenfamilie“ auseinanderbröckeln, da das konspirative Element als Spange entfällt. Die Kriminalisierungsspirale, die dem Abhängigen im Grunde jede Zukunft verbaut - selbst nach erfolgreicher Therapie stehen meistens hohe Schuldenforderungen ins Haus - wäre unterbrochen; und nicht zuletzt, Selbsthilfegruppen oder helfende Institutionen könnten in einem angst- und repressionsfreien Raum ganz anders agieren.

Auch die Herstellung einer eindeutigen Rechtsposition würde m.E. für eine Legalisierung sprechen. Der Polizeibeamte im tagtäglichen Dienst kann kaum mehr verstehen, wieso er Mehrfachtäter wieder und wieder dingfest zu machen hat, um sie tagsdarauf wieder auf Beschaffungstour anzutreffen. Im gesamten Problemumfeld ist es zu schwimmenden Grenzen gekommen (ist eine gebrauchte Spritze ein Beweismittel oder nicht? - ist die Ausgabe steriler Spritzen die Unterstützung einer kriminellen Handlung? etc.). Nicht minder fragwürdig ist die Strafbemessung bei der Verurteilung süchtiger Täter im Bereich Beschaffungskriminalität. Ist ein Abhängiger tatsächlich schuldfähig im Sinne des Gesetzes oder hatte er gar keine andere Wahl; befand er sich gar durch Entzugserscheinungen in einem Zustand verminderter Zurechnungsfähigkeit?

Einsteiger, Umsteiger

Absteiger?

An Argumenten gegen die Freigabe von Heroin steht neben einer tradierten, längst brüchigen Staatsmoral wohl einzig die bange Frage, wieviele Neueinsteiger die Folge dieser Maß

nahme wären.

Mal abgesehen davon, daß es sicherlich keine verläßlichen Schätzungen geben kann, muß die Frage gestattet sein, ob eine Gesellschaft, die fürchten muß, die Freigabe einer Droge würde eine Welle von Neueinsteigern auslösen, ihren jungen Leuten genug zu bieten hat, und auch, ob ein Verbot das geeignete pädagogische Mittel ist, junge Menschen mit persönlichen Problemen von einer Versuchung abzuhalten. Denn soviel scheint deutlich: Drogenabhängigkeit ist das Resultat defizitärer Persönlichkeitsentwicklungen und hunderter individueller Gründe, wie gestörter Eltern-Kind-Beziehung, Überforderung, fehlende Perspektive (Ausbildung, Arbeitsplatz, Lebensidee), aber auch das Wissen um Umweltzerstörung, Kriegsgefahr, Ausbeutung etc., unabhängig von Ausbildung oder gesellschaftlichem Status.

Letztlich schließt sich eine Frage von weitreichender ethischer Bedeutung an: wie weit reicht das Selbstbestimmungsrecht eines jeden, solange er nicht Dritte schädigt? Auch an diesem Punkt sind die Grenzen längst verschwommen - der Raucher, der zum Passiv-Rauchen zwingt; der Alkoholiker, der seinen Frust von der Seele prügelt, der Autofahrer, der fahrlässig tötet oder verletzt. Der Genuß der Droge ist in all diesen Fällen straffrei, erst die negativen sozialen Auswirkungen finden ihren Widerhall in Urteilen. Einzig der „User“ sogenannter harter Drogen wird unter Strafe gestellt, obwohl er lediglich sich selbst Schaden zufügt.

Mut ist gefordert!

Doch da Politik in den seltensten Fällen tatsächlich den „gordischen Knoten“ zu lösen vermag durch klare, rational begründete Entscheidungen, sondern auf den Kompromiß ausgerichtet ist, der je nach aktueller politischer Schattierung ein wenig mehr rechts oder links von der scheinbaren Mitte pendelt, werden wir voraussichtlich auch bei dieser Frage über viele Jahre noch mit Halbheiten zu kämpfen und zu leben haben, - es sei denn, auch in der Bundesrepublik würde sich die Lage derart zuspitzen wie in den USA, wo intensiv über die Legalisierung von Heroin nachgedacht wird.

Zur Situation in Bremen

Die politisch Verantwortlichen finden eine Situation vor, die von vielen Bürgern, insbesondere im Bereich Ostertor/Steintor, als unerträglich und nicht weiter tolerierbar dargestellt wird.

Methadon ja, aber wie ?

Bedauerlicherweise steht die Frage der Vergabe von Methadon im Mittelpunkt der Diskussion.

Methadon ist mit Sicherheit nicht mehr und nicht weniger als eine weitere Möglichkeit in der Angebotspalette der Hilfsmaßnahmen. Bei einem möglichen Einsatz der Ersatzdroge Methadon ist jedoch vorrangig die Frage zu stellen und zu beantworten, mit welchen Erwartungen und Zielvorgaben man besagtes Medikament einsetzen will.

Möglichkeit 1: festes Ausstiegsprogramm mit starren Eingangsvoraussetzungen (Teilnehmer z.B.: über 20 Jahre, 2 abgebrochene Therapieversuche etc.), würde bedeuten: starke Kontrolle, medizinische Überwachung, therapeutische Begleitung; würde weiter bedeuten, sehr kostenintensiv, langzeitorientiert, für einige wenige, quasi eine Teilentmündigung des Teilnehmenden.

Möglichkeit 2: relative Freigabe, d.h. Verschreibungsmöglichkeit durch niedergelassene Ärzte oder Verabreichungsmöglichkeit durch öffentliche Institutionen wie Hauptgesundheitsamt oder Drogenberatungsstelle als Erhaltungs-oder Überbrückungsmöglichkeit im Krisenfalle; würde bedeuten: kaum kontrollierbare Ausgbe, kostenneutral, für alle eine Hilfe in akuter Not, in die persönliche Verantwortung des behandelnden Arztes gestellt, keine konkrete Ausstiegsorientierung, aber mit der Hoffnung, die verheerenden Folgen der Polytoxikomanie einzudämmen, dem Einzelnen „Luft“ zu schaffen vom Beschaffungsdruck.

Sicherlich haben Gegner des Methadon recht, wenn sie darauf verweisen, daß auch Methadontote bekannt sind, daß Methadon ein starkes Beruhigungsmittel ist, unter dessen Einfluß der Süchtige oft nicht mehr therapeutisch ansprechbar ist, daß Methadon in vielen Fällen zu Depressionen bis zu Phobien führt, etc., dennoch muß eine verantwortliche Drogenpolitik, wenn sie Methadon mit diesen oder anderen Gründen ablehnt, klar und eindeutig Stel

lung beziehen, wie sie die unhaltbare Situation in der Drogen-Szene positiv verändern will.

Idee gut, Ausführung mangelhaft!

Bremen hat einiges an Voraussetzungen geschaffen, um eine erfolgreiche Drogenpolitik leisten zu können, z.B. die Federführung des Sozialressorts in dieser Frage oder aber auch die unmittelbare Nähe der Drogenberatungstelle am Treffpunkt der Szene. Dennoch hapert es an allen Ecken und Enden.

Die Drogenberatungsstelle kann ihre Aufgabe kaum noch wahrnehmen durch chronische Unterbesetzung. Notwendig wäre eine 24stündige Öffnungszeit mit entsprechenden Begleitangeboten (warme Mahlzeiten, Ausgabe steriler Spritzen, medizinische und therapeutische Betreuung, Möglichkeiten zum Waschen der Wäsche und seiner/ihrer selbst, möglicherweise Dienststelle des „Drogen Sozi“ in den Räumen der „Drobs“ oder gar völlige Aufhebung dieser diskriminierenden Sonderabteilung

Das Ressort Soziales hätte die Möglichkeit, durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit als auch durch intensiven Einsatz vor Ort die Gruppe der Drogenabhängigen herauszuführen aus der Randgruppenideologie, Lebensperspektiven aufzubauen und umzusetzen mit den Betroffenen. Allein der Mangel an Therapieplätzen, ganz zu schweigen von dem „posttherapeutischen schwarzen Loch“, zeigen deutlich die Halbherzigkeit der Bemühungen.

Geradezu katastrophal ist beispielsweise die Tatsache, daß im Strafvollzug für Frauen das einzige Angebot zur Beschäftigung das Tütenkleben ist. Bildungs-, Ausbildungs-, Selbsterfahrungsmöglichkeiten gleich null.

So fällt der/die Entlassene doch wieder zurück in die Drogen-Familie, zurück in katastrophale Wohnverhältnisse (die Zustände in den sogenannten Pensionen sind himmelschreiend), sofern sich überhaupt ein überdachter Schlafplatz finden läßt.

Es fehlt die therapeutische Begleitung während und nach der Entgiftung ebenso wie die intensive Hilfestellung bei der Aufarbeitung persönlicher Probleme oder gar ein Entschuldungsprogramm für Therapiewillige.

Die Verantwortlichen

sind gefordert

Solange nicht versucht wird, die Spirale Droge, Kriminalisierung, Knast, Therapie usw. an jeder Stelle nachdrücklich zu unterbrechen, helfend einzugreifen, m.E. auch mit Methadon, wird man sich an der Entwicklung mitschuldig machen.

Die Bevölkerung vor Ort hat deutlich gemacht, daß für viele die Grenze der Tolerierbarkeit erreicht ist. Sie erwartet außer der Absage an Methadon ein umfassendes Programm zum Umgang mit dem Drogenproblem und seinen Folgen für die Allgemeinheit.

Die Chance, die in der Federführung des Sozialressorts liegt, beinhaltet zugleich nämlich auch deutliche Aufgaben und Verantwortungsverteilung - das Haus des stellvertretenden Bürgermeisters und Sozialsenators Henning Scherf wird klar und deutlich Stellung beziehen müssen.

Hucky Heck