Zivilisation, Sondermüll, Volkstanz

■ Am Wochenende beschäftigte sich das 5.Berliner Ökologieseminar mit DDR-Umweltfragen. Das (gekürzte) Protokoll eines Teilnehmers im Originalton:

Das diesjährige Berliner Ökologieseminar war nun schon das fünfte und stand unter dem Thema „Die Zivilisation, der Müll und unsere Zukunft“. Angefangen hatte diese Reihe 1984 mit einem Seminar, das der damalige Öko-Kreis Berlin -Friedrichsfelde in der dortigen Gemeinde zum Thema Stadtökologie organisierte. 1985 wurde die Umweltproblematik am gleichen Ort umfassend analysiert und ein

Jahr später stand in den Räumen der Umweltbibliothek die Kernenergienutzung angesichts der Tschernobyl-Kastastrophe im Mittelpunkt. Seit 1987, als die Novemberereignisse im Zusammenhang mit der Umweltbibliothek die Verlegung des Seminars in die Elisabeth-Gemeinde in der Invalidenstraße erforderten, findet diese traditionelle Großveranstaltung der DDR-Umweltgruppen in den Räumen des Gemeindehauses statt.

(...) Als Vorspann sozusagen lief Donnerstagabend das Video „Farm der Tiere“, eine Zeichentrickversion von Orwells berühmtem und bisher in der DDR noch immer nicht erschienenen Roman.

Am Freitag begann das eigentliche Programm, welches ein aus Mitgliedern des Netzwerkes arche, Region Berlin/Brandenburg, der Umweltbibliothek und Einzelengagierten bestehender Vorbereitungskreis seit März organisiert hatte. Nach einem Vortrag über natürliche Kreisläufe, der sich an das Buch Unsere Umwelt und wir von Frank Klötzli anlehnte und neben dem Kohlenstoff-, dem Wasserstoff-, dem Luft- und dem Sauerstoffkreislauf auch Nahrungsketten behandelt, wurde die Formaldehyd-Problematik umfassend dargestellt. Es kam zum Ausdruck, daß die DDR zwar niedrige Grenzwerte festgelegt hat, die Anwendung und Kontrolle aber meistens nicht erfolgt und eine öffentliche Diskussion nicht erwünscht ist.

Am Nachmittag wurde von einem Delegierten der 2.Ökumenischen Versammlung der Kirchen im Magdeburg die dort verabschiedeten Papiere vorgestellt. Ein Grundgedanke des von der Arbeitsgruppe Ökonomie/Ökologie verabschiedeten Papieres war, daß die DDR nach der wisenschaftlich -technischen Revolution nun auch dabei ist, die „ökologische Revolution“ zu verschlafen, ganz einfach auch deshalb, weil Umweltschutz keine kurzfristigen ökonomischen Vorteile bringt.

Anschließend sprachen Vertreter verschiedener Umweltgruppen über ihre Arbeit, unter anderem auch ein Mitglied des Jugendzentrums für Ökologie an der Lettischen Staatsuniversität Riga. Er berichtete über die breite Volksbewegung für mehr nationale Selbstbestimmung, den Kampf gegen die Erweiterung des littauischen Kernkraftwerkes und die zunehmende Verschmutzung der Flüsse und der Ostsee wegen fast völlig fehlender Klärwerke in dieser Sowjetrepublik.

Nach dem vegatarischen Abendessen, das übrigens wie das Mittagessen am Sonntag von den Mitgliedern einer ehemaligen Krishna-Gruppe zubereitet wurde, spielte die Laiengruppe „Hoftheater Prenzlauer Berge“ das avantgardistische Stück „Die Wächter“ von Peter Dehler.

(...) Am Sonnabend waren rund 100 Teilnehmer erschienen, weniger als geplant, aber vielleicht waren nicht alle Einladungen auf dem Postweg angekommen. Der Vormittag war mit den Themen Sondermüllverbrennungsanlage Schöneiche, Sondermülldeponierung und Müllexport in die DDR ausgefüllt.

(...) Bei den beiden folgenden Arbeitseinsätzen konnten Pflanzen für die Fassadenbegrünung gewonnen und eingepflanzt werden, und anschließend wurde das katastrophale Ausmaß der Umweltzerstörung im Raum Espenhain (südlich von Leipzig) von einem Betroffenen dargestellt. Er berichtete von einem Eingabengespräch, wo Staatsvertreter eingestanden hatten, daß das, was die DDR für den Umweltschutz gegenwärtig unternimmt, bis an ihre Leistungsgrenze gehe und mehr nicht drin sein würde.

(...) Nach dem Abendessen waren Vokstanz für alle zum Mitmachen und Diskussionsmöglichkeiten mit den vielen Gästen aus dem In- und Ausland im Angebot. Der Sonntag begann mit der gemeinsamen Erarbeitung von Resolutionen zur Problematik: Geheimhaltung von Umweltdaten, zum Müllimport der DDR für Devisen und zu Schöneiche, die im Plenum nach dem Umweltgottesdienst in der Zion-Gemeinde verabschiedet wurden. Bei dieser abschließenden Veranstaltung hatten auch noch einige ausländische Gäste und Vertreter von DDR -Ökogruppen Gelegenheit, Grüße zu überbringen und Meinungen zum Seminar zu äußern.

Volker Kurt