Rocard will Schwestern helfen

Nach 20 Dienstjahren sollen Krankenschwestern Ärztinnen werden können / Regierungskrise vorerst vermieden / Parlament verabschiedet Teilhaushalt des Premierministers  ■  Aus Paris Georg Blume

Bereits am Wochenende war es in Frankreich wieder ruhiger geworden. So ruhig, daß sich dem französischen Premierminister gleich am Montag morgen die Gelegenheit bot, der Streikfront einige Spitzen zu brechen. Rocard äußerte sich gestern in einem Radio-Interview versöhnlich: „Es gibt manchmal soviel Geschrei, daß keiner den anderen mehr hört.“ Gleichzeitig versuchte der Premierminister mit der Ankündigung neuer Maßnahmen das soziale Ruder wieder an sich zu reißen, das ihm erst in der letzten Woche, als die Gewerkschaften geschlossen gegen die Regierung aufmarschierten, entglitten war.

Rocard versprach zunächst, den protestierenden Krankenschwestern zu helfen. Sie sollen in Zukunft nach 20 Jahren Dienst die Chance haben, mit einer Zusatzausbildung in den Arztberuf aufzusteigen. Zudem beauftragte der Regierungschef seine Staatssekretärin für Frauenfragen, Michele Andre, die Probleme der Krankenschwestern „an der Basis“ (Rocard) zu studieren. Die Angebote Rocards, obwohl kostenneutral, müssen um so großzügiger erscheinen, als die Vollversammlung der basisdemokratisch organisierten Krankenschwestern und -pfleger noch am Sonntag abend beschloß, den seit drei Wochen andauernden Streik vorläufig niederzulegen.

In den vorausgegangenen Tagen hatten Gehaltsausfälle und die ebenso umständliche wie anstrengende Organisation von Notdiensten dem Streik in dieser Berufsgruppe viel von seiner Attraktivität genommen. Die Vollversammlung rief allerdings auch zu einer erneuten Großdemonstration am 3.November in Paris auf.

Neben den Krankenschwestern hatte der gesamte öffentliche Dienst am letzen Donnerstag gestreikt. Rocard versprach nun, mit allen betroffenen Gewerkschaften neue Verhandlungen über Gehälter und Arbeitsbedingungen noch in dieser Woche aufzunehmen. Der Premierminister betonte, daß die Regierung zu diesem Zweck bereits zwei neue Arbeitsgruppen eingerichtet habe. Hinsichtlich der Lohnfrage schränkte er allerdings weiterhin ein: „Ich werde keine Gehälter verteilen, die sofort von der Inflation gefressen werden oder den Franc in Gefahr bringen.“

Der Erfolg der Verhandlungen bleibt also offen - Rocard aber scheint vorerst der Gefahr einer ernsthafteren Regierungskrise entgangen zu sein, die noch vor kurzer Zeit zu drohen schien. Weiteres Indiz dafür: Am Wochenende verabschiedete das Parlament bei Enthaltung von Kommunisten und Zentrum den ersten Teil des Rocard-Haushalts für 1989.