Veränderung und status quo

Im Vorfeld der israelischen Wahlen gibt Israels Außenminister Schimon Peres, Führer der Arbeiterpartei, seiner „jordanischen Option“ viel Raum und bemüht sogar König Hussein als Zeugen für einen möglichen Kompromiß in der Frage der besetzten Gebiete, um in letzter Minute die Wähler für sich zu mobilisieren. Das entspricht dem Wunsch vieler Israelis, „Veränderung“ durch einen Frieden zu erreichen, der nicht notwendig den sofortigen Verlust der besetzten Gebiete oder andere Opfer mit sich bringt.

Wie es Meinungsumfragen immer wieder bestätigten, wollen die meisten Israelis beides: Veränderung und Sicherheit durch Frieden, aber ebenso das Festhalten am Großteil der besetzten Gebiete und einer klaren Oberherrschaft über die arabischen Nachbarn anstelle realer Integration in die Völker der Region. Umfragen zeigen auch weitere unversöhnliche Widersprüche im öffentlichen Denken, das die nationale Führung über Jahrzehnte und insbesondere während der Zeit der Besetzung geprägt hat.

So erwarten viele Israelis, sie könnten ihren Kuchen essen und gleichzeitig aufheben - zum Beispiel das Westufer des Jordans und den Gaza-Streifen zu behalten, aber ohne ihre palästinensische Bevölkerung. Viele rechte Parteien vertreten im Wahlkampf die Parole, die arabische Bevölkerung solle „umgesiedelt“ werden, „in die arabischen Staaten, wo sie hingehören“. Veränderung und status quo erscheinen gleichermaßen erwünscht, und jene Führer, die beides anbieten und mit Vesprechen auf Wohlstand verknüpfen, werden einem weitverbreiteten Gefühl gerecht. Unter der besser ausgebildeten und vorherrschend „westlich-orientalischen“ Minderheit besteht das Bewußtsein, daß bald die klare Entscheidung für den Frieden mit den von der PLO vertretenen Palästinensern ansteht, wenn ein neuer Krieg vermieden werden soll. Aber nur eine Minderheit erkennt, daß nur zwei Staaten für zwei Völker im Land Palästina - Frieden mit Sicherheit bringen und Israel in die Lage versetzen würde, die Prioritäten seiner Wirtschaft neu festzusetzen und die Demokratie zu retten.

Es wird nur unzureichend erkannt, daß die „ethnischen Grenzen“ (orientalische Sephardim gegen westliche Ashkenazim) noch immer eine vorherrschende Rolle in der israelischen Gesellschaft und ihrem Wahlverhalten spielen. Im Gegensatz zu den Beteuerungen der größeren israelischen Parteien ist die ethnische Grenze nicht überwunden. Auch die Trennlinie zwischen der wohlhabenden Mittelklasse, die für die Arbeiterpartei oder angeschlossene liberale Listen zu stimmen bereit ist, und den weniger privilegierten Schichten (meistens orientalisch-sephardischen Ursprungs) mit hauptsächlich rechten Tendenzen ist noch sehr deutlich.

Recht auffällig und nicht im allgemeinen Bewußtsein ist auch die Tatsache, daß über ein Viertel der israelischen Wähler bei diesen Wahlen einer Generation angehört, die Israel nur im Besitz der besetzten Gebiete kennengelernt hat und diese Situation für selbstverständlich hält. Fast drei Viertel der jüdischen Wähler Israels wurden nach dem zweiten Weltkrieg geboren und haben keine Erfahrungen oder direkten Erinnerungen an den Holocaust. All dies bedeutet, daß heute oder sehr bald eine Ablösugn der Führung auf der Tagesordnung steht.

Frauen werden in der neuen Knesset zahlenmäßig wahrscheinlich eine noch geringere Rolle spielen als in der vergangenen. Bestenfalls sieben Frauen werden unter den 120 Abgeordneten der neuen Knesset zu finden sein - bisher waren es zehn.

Aufgrund der traditionell konservativen Wahlgewohnheiten kommen Beobachter zu der Einschätzung, daß die Blocks um die Arbeiterpartei und Likud fast gleich stark aus der Wahl hervorgehen werden - vielleicht mit geringen Vorteilen für den Block der Parteien um die Arbeiterpartei, der Likud an der Regierungsbildung hindern und der Arbeiterpartei vielleicht ermöglichen würde, das Land eine Weile aus der Position einer Minderheitenkoalition zu regieren.

Es ist jedoch durchaus möglich, daß das Treffen von Mubarak, Hussein und Arafat in Akaba am letzten Wochenende dem Block um die Arbeiterpartei in letzter Minute einen Aufschwung verschaffen kann.

Amos Wollin, Tel Aviv