Vous avez tout regardez

■ Die Liste der 50 Künstler, die in der Kunsthalle zu sehen sind, liest sich wie das Who's Who der französischen Kunst

Daß die Kunsthalle Werke, die zum festen Ausstellungsbestand gehören, in's Depot schafft und in den somit freigewordenen drei Galerieräumen eine dreimonatige Sonderausstellung Platz nehmen läßt, ist schon eine kleine Senstion. Der Ort ist gut gewählt, denn die nunmehr gezeigten Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen passen zur Sammlung der Kunsthalle wie ein Sahnehäubchen zur Torte.

Die Namen der vertretenen Künstler markieren Meilensteine auf dem Weg zur Moderne, die Liste liest sich wie das Who's who der französischen Kunst der zweiten Hälfte des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts: Delacroix, Courbet, Corot, Manet, Renoir, Monet, Gaugin, Bonnard, Rodin, Utrillo, Cezanne, Picasso, u.a. Die hiesige Präsenation dieser 50 Kunstwerke ist einer ungewöhnlichen Zusammenarbeit zu verdanken, denn Leihgeber ist das Szepmüveszeti Muzeum Budapest. Die Auswahl aus den Beständen gerade in Bremen zu zeigen, hat ihren besonderen Reiz darin, daß der Schwerpunkt der Kunsthallensammlung eben auf der Kunst des 19. Jahrhunderts liegt. Dem Betrachter ist damit die hervorragende Möglichkeit gegeben, die Bilder der Sonderausstellung in bezug zu zeitgleich entstandenen anderen Werken französischer, oder aber auch deutscher Provenienz zu sehen. Die struktuelle Verwandschaft in der Sammeltätigkeit beider Museen zeigt sich anhand eines Gemäldes von Manet, „Dame mit Fächer“, aus der ungarischen Sammlung, dem aus dem Besitz der Kunsthalle eine vorbereitende Aquarellstudie beigegeben wer

den konnte.

Wiewohl jedes der gezeigten Werke von hohem künstlerischem Rang ist (in bezug auf die Kritik also bereits jenseits von gut und böse), stechen doch einige besonders ins Auge. Unzweifelhaft gehört Manets besagte „Dame mit Fächer“ von 1862 zu den Spitzen dieser Ausstellung. Schlichtweg kün sind die Einfachheit und Raffinesse der Komposition aus drei Farbflächen, die Vorder-, Mittel-und Hintergrund definieren, und eine Ausdrucksgebung, die weitgehdn auf Illustration verzichtet. Im Vergleich, beispielsweise mit Camille Pissarros ebenfalls gezeigtem „Le Pont-Neuf“ von 1902, wird die Bedeutung Manets für die Impressionisten verständlich.

Ungewöhnlich ist auch ein Gemälde Thomas Coutures, „Vogelfang“ von 1857, angesichts dessen offen zu Tage tritt, daß er zu Unrecht seinen Ruhm nur mehr der Tatsache verdankt, der Lehrer Manets gewesen zu sein. Das Bild stellt eine interessante Verknüpfung zeichnerischer und malerischer Elemente vor. Bildbestimmend ist die merkwürdige, vollkommen artifizielle Farbgebung, schlaglichtartig einfallendes Licht bringt ein überraschendes Bunt auf den bräunlich gestimmten Bildgrund.

Mögen viele diese Bilder für „Schnee von gestern“ halten, fern allen Kunstmarktgetümmels gibt es sowohl im Einzelnen wie auch im Zusammenhang mit der Ausstellung eine Menge zu entdecken, was es bedauerlich erscheinen läßt, daß derartige Projekte nicht häufiger durchgeführt werden.

S.H.

bis 8.1.89