Jazz im Anzug und in Jeans

■ 1. Abend des Bremer JazzFest 1988 im Dix: Das „Lou Donaldson Quartet“ (im Anzug) und die Gruppe von „Gary Burton“ (im T-Shirt) zeigten Klassisches und Modernes

Erst Nadelstreifen und dann T-Shirts waren auf der Bühne zu sehen und genauso unterschied sich auch die Musik der beiden Gruppen. Das Quartett von Lou Donaldson mit dem Gastmusiker David „Fathead“ Newman machte Musik im Anzug: Be-und Hardbop ganz sauber präsentiert, ohne daß auch nur ein modernerer Ton den klassischen Rahmen angekratzt hätte. Elegant und in sehr kultiviertem Stil spielte Donaldson viele der alten Standards: Balladen, Uptempo - Nummern und Klassiker wie „Bag's Groove“ von Milt Jackson oder „Bye, Bye Blackbird“. Dabei erinnern sein Ton und die Phrasierung auf dem Altsaxophon tatsächlich sehr Charlie Parker. Newman spielte dagegen auf dem Tenorsaxophon und der Flöte viel sparsamer und nicht so virtous. Er war ein belebender Gegenpol zur Gruppe, der dem sonst allzu glatten Design die paar Dellen verpaßte, die es erst wirklich interessant machten.

Bassist John Webber und Schlagzeuger Larry Johnson spielten dezent und solide im Hintergrund, der blinde Pianist Herman Foster stellt dagegen in sei

nen Soli ein wenig zu sehr die technischen Tricks in den Vordergrund. Besonders bei den Balladen waren es eindeutig ein paar Triller, flinke Läufe und andere Kunststückchen zuviel. Für den Blues von der „whisky drinking woman“ legte Donaldson sein Saxophon beiseite und sang den witzigen Text. Bei der Zugabe war sein Solo noch einmal vollgestopft mit Zitaten aus Bebopklassikern, und der Schlagzeuger kam nicht mehr ganz mit und verspielte sich. Man konnte aufatmen: so klassisch, daß jeder Break auswendig heruntergespielt werden kann, ist diese Musik also doch nicht.

Gary Burton kam in Hemdsärmeln und mit einer sehr jungen Gruppe auf die Bühne. Und alles swingte gleich viel gelöster - auch im Vergleich zu Burtons eigenen Gruppen aus früheren Jahren war die Musik flotter. Aus der allzu kultivierten ECM -Ecke - dem Kammermusikjazz mit ewigem Adagio hat sich Burton wohl erst einmal verabschiedet. Don Paul McCaslin am Saxophon, Bassist Gildas Bocle und Schlagzeuger Marty Richards haben

schon die technischen Fähigkeiten, um bei Burtons virtousem Spiel mithalten zu können, aber zudem merkte man ihnen ihre Spielfreude an, die auch den Chef und den erfahreneren Pianisten Makoto Ozone beflügelt zu haben schien. Burton spielt mit vier Schlegeln auf dem Vibraphon so atemberaubend wie immer. Die Rolle des zweiten starken Pols in der Gruppe, die über viele Jahre Steve Swallow ausfüllte, scheint jetzt auf Ozone vererbt worden zu sein. Neben Stücken von Corea, John Scofield und Standards wurden mehrere von seinen Kompositionen gespielt, und daß er der zweite Virtouse in dieser Band ist, bewies er besonders in einen Duo mit Burton, das sich vor den Burton/Corea Zwiegesprächen nicht zu verstecken brauchte.

Die Bedingungen im Dix waren angenehm: die Bedienung lief nicht ewig durch die Reihen, es wurde nicht laut geredet, es war nicht zu eng und sogar die Luft war erträglich: Eine angenehme und genau der Musik entsprechende Club-Atmosphäre und ein gelungener Auftakt des JazzFestes.

Willy Taub