So zu leben liegt den Iren nicht

■ Iren in Berlin - nirgendwo zu Hause

Da, wo jetzt die Musik ist und das Guiness fließt, treffen sie sich, in Berlin wie in Irland - die Iren. Und wenn es hier so etwas wie eine irische Gemeinde gibt, dann in den Pubs. Rund 750 Iren verzeichnet die Statistik, eine winzige Anzahl im Vergleich zu London oder amerikanischen Großstädten, in denen es ganze irische Viertel gibt. England, Amerika, Kanada, Australien waren immer die Länder, in die der große Strom der irischen Auswanderung ging, doch die Zeiten haben sich geändert: Amerika ist seit einiger Zeit dicht und die Feindseligkeit in England wächst.

„In London wirst du verachtet“, sagt Terese, die seit vier Jahren in Berlin lebt, „es war unerträglich. Hier werde ich mit meiner Nationalität respektiert. Sie hat den Eindruck, daß gerade in Berlin viele irische Emigranten leben, die keine Ausbildung haben, diese und jene Jobs machen und dann weiterziehen. Terese nennt sie „the lost“. „Mit Zweifeln kannst du hier besser leben als anderswo“, meint sie, auch weil in der Berlin der Überlebenskampf nicht so hart sei wie beispielsweise in Amerika. Und auch nicht so hart wie in München, findet Martha, die eine Weile auch dort lebte. Als Gründe nennt sie die hohen Mieten und auch die starke Leistungsorientierung der Bayern. Martha, 25jährige Physikerin, Tochter eines Zimmermannes und einer Hausfrau, neun Geschwister und acht von ihnen Akademiker, ist hier wie dort eine Ausnahme. Der größte Teil der in Berlin lebenden Iren arbeitet im Dienstleistungsgewerbe, viele als KellnerInnen, die Frauen außerdem oft als Zimmermädchen oder Tagemütter, viele Männer verdienen ihren Lebensunterhalt als Musiker.

Father Paul Maguire, weltweitgereistert Missionar, ist seit Mai in Berlin. Das erste Kind, das er in Neukölln taufte, war zufällig ein irisches. Daß irische Menschen sich in Berlin wirklich heimisch fühlen könnten, scheint ihm „ideologisch betrachtet“, rätselhaft: „Die Deutschen sind diszipliniert, arbeitssüchtig, leistungsorientiert - so zu leben liegt den Iren im Grunde nicht. Ihr Wert liegt in dem, wie sie sind, nicht darin, was sie schaffen“. Und Bürokratie hassen sie alle zutiefst, denn Behörden waren jahrhundertelang immer die Instrumente der Macht ihrer Gegner. Auch die Individualisierung und das Ich-bezogene Leben ist nicht ihr Ding: „Wir sind mehr wie die Italienier oder die Türken - Großfamilien und immer offene Häuser, Storytelling, Musik und Tanz - das ist irische Lebensart.“

Ein bißchen „lost“ fühlen sich deshalb fast alle hier, die Coolheit und Vereinzelung macht ihnen das Leben schwer. Die meisten sind hier mit dem Kopf - lernen und die Welt kennenlernen - aber mit dem Herzen sind sie in Irland. „Ich könnte einen deutschen Paß bekommen“, erzählt eine Irin, die ihren Namen nicht in der Zeitung sehen will und seit fast 20 Jahren in Berlin lebt, „aber ich würde mich damit nicht identifizieren.“ Sie kann nicht zurück, weil sie geschieden ist, eine Todsünde in der erzkatholischen Republik und ein „Vergehen“, daß ihre Eltern ihr nie verzeihen werden und ihren Kindern das Leben schwer machen würde.

Überhaupt: Die Freiheit der Frauen, ist das hier nicht ein riesiger Unterschied zu Irland, wo Verhütung, Scheidung und Abtreibung verboten sind und regelmäßig Frauenleben ruiniert werden? Alle drei Frauen haben das verneint, „du kannst hier mehr ficken, aber das ist dann auch schon alles“, sagt eine von ihnen. Zuhause sind sie - wenn sie den moralischen Normen gehorchen - hochgeachtet, die subtile Frauenverachtung hier erleben sie deutlich und schmerzlich.

Daniela Reinsch