MODE MIT WIM

■ Ein beispielhafter Anti-Rost-Tag der Berliner Seniorenwoche

Meine Oma macht mich fertig. Eigentlich hatte sie mir vor einer Woche mit einem großen Ehrenwort versprochen, mit diesen Aktionen aufzuhören und auch Elisabeth, Frieda und Paul davon zu überzeugen, daß es so nicht noch jahrelang weitergehen könnte. Letzte Nacht wurde ich wieder mit dem fast schon vertrauten Krachen aus meinem Schlaf gerissen und kurz danach hörte ich den Versuch der vier Alten, in unsere Wohnung zu gelangen, so leise, wie es ihnen ihre Stockeinsätze und ihr garstiges Kichern eben möglich machten. Ich wußte bereits, daß meine Oma gleich den Portwein und die Likörgläser aus der Küche holen würde und ich wußte, sie hatten mich wieder beschissen. Wenig später weckten Feuerwehr-, Polizei- und Notarztwagensirenen unter massivem Lichtspieleinsatz auch noch die restlichen Bewohnerinnen unserer Straße, die nun mit wachem Blick aus den Fenstern den Rettungsmannschaften zusahen, die gekommen waren, um nachzusehehen, was von dem Personenwagen und den Personen noch zu retten war, die sich vor 20 Minuten auf den Mittelstreifen unserer verkehrsberuhigten Straße und gegen die restaurierte Straßenlaterne hatten leiten lassen. Scheiß Fernsehprogramm, wütete ich, können die bei SAT 1 sich nicht etwas länger um die senile Bettflucht kümmern, um so Zukünftiges und Schlimmeres zu verhindern?

Da saßen sie. Paul, Frieda, Elisabeth und meine Oma, tranken Portwein und hörten erst mit diesem gemeinen Kichern auf, als ich ins Zimmer kam. Oma kriegte als erste ihren flehentlichen Entschuldigungsblick, als Frieda mir noch ganz dreist in die Augen blickte. Paul war es ein wenig peinlich und mir inzwischen alles egal. Das war ja nun schon der vierte Unfall, den Oma und die anderen in diesem Jahr erfolgreich eingeleitet hatten, und selbst als ich ihnen die schwarzen Klamotten konfiszierte, mit denen sie nachts wohlberechnet vor ahnungslosen Kraftfahrer über die kaum beleuchtete Straße huschten, änderte das nicht viel.

Diesmal machte ich ihnen keine so große Szene wie beim letzten mal, wo ich mich aufregte und rumschrie, daß ich die ganze Nacht nicht wieder einschlafen konnte und mitanhören mußte, wie die vier mich auslachten. Diesmal blieb ich die Ruhe selbst und blieb auch noch standhaft, als nach meiner Forderung, daß sie in der nächsten Woche zu einer nachmittäglichen Seniorenveranstaltung zu gehen hätten, ein großes Flehen, Bitten und Betteln und die schönsten Versprechungen einsetzten. Ich blieb hart und wir sahen uns an einem Spätnachmittag im Oktober im Palais am Funkturm wieder.

Die volkstümlichen Eröffnungslieder vom Knabenchor der St. -Hedwigs-Kathedrale Berlin waren schon mit einer Mädchenstimme im Verein weggesungen worden. 800 Schwarzwälderkirschtorten waren schon besetzt und an die 200 eingeschobene Käsesahnetorten auf den weißen Tischdecken hatten auch schon ihre seniorenmäßigen Bezugspersonen gefunden. Wir fanden aber auch noch drei Schwarzwälder- und zwei Käsesahneplätze, und nachdem sich Oma, Frieda und die Elisabeth geeinigt hatten, daß Paul durch die papiernen Rosenkörbe hindurch uns einen einheitlichen Käsesahnestandard organisieren sollte, war auch bald der heiße Kaffee im Kännchen. Oma und Frieda versuchten bereits, durch heiße Blicke die Siggi-Prokein-Band für ihre neueren Pläne zu gewinne, während Elisabeth und Paul sich noch von dem Geschehen auf der T-förmig papierrosenumrahmten Bühne einfangen ließen. „Rudi Carrell“, rief Oma schließlich in die begeisterte SeniorInnenmasse, mit einer scharfen, ruckartigen Kopfbewegung zu dem von Scheinwerfern erleuchteten Mann hoch droben. „Nee, Oma“, widersprach ich, „das ist Wim Thoelke“. Oma glaubte es den ganzen langen Nachmittag nicht. Und irgendwie kam auch ich in Versuchung, dem Programmzettel nicht zu trauen. Im Fernsehen hat doch Thoelke nie die Kleiderpreise seiner GästInnen öffentlich gemacht und niemals hatte er ein preisgünstiges Stofftaschentuch gezückt und sich die angetrocknete Spucke von den Lippenwinkeln gewischt, um flüssiger den Menschen mitteilen zu können, daß sie doch besser in den ruhigen Morgenstunden zu C&A gehen sollten. Oder hat uns das Fernsehen das nur nicht gezeigt?

Meine Alten gaben für einen Moment Ruhe, denn sie mußten in gebrochenen Deutsch das Lied von dem Papa, der hoch auf die Seil eine große Clown war, mitsingen. Mit der Sekretärin von Professor Brinkmann, die sich als Karin Eckhold vorstellte, was aber selbst ich nach dem Täuschungsmanöver mit dem Thoelke nicht mehr glauben wollte. Ich fand das gerade auch nicht mehr nett, die alten Menschen so zu betrügen, als mir Elisabeth auf den Arm klopfte und sagte: „Die spielt doch immer die Sekretärin von dem Brinkmann, die Eckhold. Daß die auch singen konnte, wußte ich ja gar nicht.“ Der Mann, der sich Wim Thoelke nannte, sagte auch den Preis von der Streifenhose und dem Jackett von Frau Eckhold an, wie von allen Menschen im Alter von Oma, Frieda, Paul und Elisabeth. Die „Schuhe kosten 45 Mark, das Jägerkostüm 230 Mark und der Anzug von Herrn Schlurrieder so um die 400 Mark, die Strumpfhose von Frau Gernhaus 12 Mark“. Das ist doch peinlich. Oma und die anderen finden das nun wieder praktisch und waren stocksauer auf mich. Gerettet hat mich Frank Raimond, der schweinische Lieder lautstark vortrug und die rasende Menge später zum Johlen brachte, mit dem Lied von der Großmutti im schlohweißen Haar. Selbst unser Mann, der sich Gesundheitssenator nennt und Ulf Fink heißt und sich auf plumpeste Art den Alten anzubiedern versuchte, indem er vorgab, seine alte Klassenlehrerin in der DDR nicht mehr erkannt zu haben, konnte meine Viererbande nicht mehr davor zurückhalten, mich an Armen und Beinen zu packen, um mich mehrmals und begeistert in die Höhe zu werfen. Von nun an wollten sie ihre Tage auf der Seniorenwoche täglich verbringen und ich fürchte, die wird ihnen die Kraft zu noch viel mehr Wahnsinnstaten geben.

reg