Kampf der Giganten um Kunst oder Schachtel

■ Im Kino-Poker gibt es eine neue Runde / König der Schachtelkinos contra Kinokleinunternehmer / Nach dem Filmpalast ist jetzt die Kurbel dran: Vier Schachtelkinos sollen aus dem renommierten Premiere-Kino werden / Kampf vor der Leinwand statt Kampf auf der Leinwand

Wenn unsere Kinos schon nicht schließen, dann sollen sie wenigstens schöner werden. Bloß darüber, wie solche Verschönerungsaktionen aussehen sollen, gehen die Meinungen weit auseinander, mal abgesehen davon, daß neben ästhetischen Gesichtspunkten auch die Finanzen eine wichtige Rolle spielen. Beim Kampf der Giganten gibt es auf dem Schlachtfeld Kurfürstendamm zwei Kontrahenten, die sich gnadenlose Gefechte liefern: Das Imperium des früheren Platzhirschen Heinz Riech, auch bekannt als der König der Schachtelkinos, wird bedroht von dem dynamischen Jung -Kinounternehmer Hans-Joachim Flebbe aus Hannover, der sich jahrelang mit einem kleinen Streusel - der „Lupe 1“ am Kudamm - zufriedengegeben hatte und als erster zu den Waffen griff.

Die Wilderei begann, als der Vertrag für das altehrwürdige Ufa-Kino am Joachimsthaler Platz auslief, eins von Riechs angestammten Kino-Kleinoden. Flebbe war schneller und großzügiger als Riech, so daß die Kindl-Brauerei als Besitzerin des Hauses ihm den Vertrag zum 1. Juli gab. Riech tobte und weigerte sich, den Palast zu räumen: Zumindest eine Million Mark als Ablöse wollte er von Kindl haben. Flebbe bemühte das Gericht, das ihm einen Räumungstitel gab.

Erst jetzt verließ Riech das Kino, und das in einem so denkwürdigen Zustand, daß Flebbe gleich die Presse zur Besichtigung bat. Zu sehen gab es allerdings wenig, denn abgesehen davon, daß Riech alles, was nicht niet- und nagelfest war, ausgebaut hatte, verbarrikadierte er auch noch den Verteilerraum für den Strom: Im fahlen Schein von zwei Taschenlampen erläuterte Flebbe, wie aus dieser Einöde

-die noch dazu unter Denkmalschutz steht - der neue „Filmpalast“ entstehen soll: Für eine Million Mark wird unter Berücksichtigung des schutzwürdigen Charmes der fünfziger Jahre eine luxuriöse Abspielstätte geschaffen. Bequeme Sessel und modernste Technik sollen dann dort der Filmkunst und dem gehobenen Unterhaltungsfilm den Rambos in den anderen Kinos Paroli bieten. In Anlehnung an diesen oder andere bekannte Filmhelden sann fortan Heinz Riech darauf, wie er diese schwere Schlappe wieder gutmachen könnte. Das Objekt ließ nicht lange auf sich warten: Der Vertrag für die „Kurbel“ in der Giesebrechtstraße lief ebenfalls aus, und der bisherige Pächter wurde mit einer saftigen Mietpreiserhöhung gleich mal aus dem Ring geboxt. Übrig blieben die Erzrivalen Riech und Flebbe, und zunächst sah alles so aus, als ginge auch in der Kurbel demnächst eine neue Flebbe-Leinwand auf. Am 19.September 1988 wurde man sich einig: Flebbe und Rafael Korenzecher, Vertreter der „Eigentümer-Gemeinschaft Giesebrechtstraße4“, unterzeichneten einen Vertrag. Es fehlte nur noch eine Bankbürgschaft Flebbes, die er nach seinen Aussagen termingerecht abschickte und die zudem durch einen Scheck Flebbes abgedeckt war.

Allerdings kam die Bürgschaft nie im Büro von Rafael Korenzecher an, wie dieser behauptet. Vielleicht ist sie auch im Trubel untergegangen, denn im Büro Korenzecher herrschte an diesem Tag Hochbetrieb. Wenige Stunden später nämlich verhandelte Korenzecher mit Heinz Riech, und dabei kam der nächste Mietvertrag für die „Kurbel“ heraus. Über die Beweggründe Korenzechers, seinen ersten Vertragsabschluß zu bereuen, Riech den Zuschlag zu geben und den Vertrag mit Flebbe später wieder zurückzuziehen, kann nur spekuliert werden. Nicht ganz unwahrscheinlich klingt die Variante, daß es sich dabei um ein Koppelgeschäft gehandelt hat: Heinz Riech wird auch der neue Besitzer des „Cinema“ in der Bundesallee, und dieses Haus wird rein zufällig von einer anderen Firma des Herrn Korenzecher verwaltet.

Noch laufen Riech und Flebbe beide mit einem Mietvertrag für die „Kurbel“ durch die Stadt, ihre Anwälte können sich derweil die Hände reiben, denn da gibt es noch viel zu tun: Flebbe will die dubiosen Geschäftspraktiken des Herrn Korenzecher genauer beleuchten lassen, ist allerdings nicht sehr überzeugt, ob er seinen Traum von der „Kurbel“ noch mal verwirklichen können wird. Die etwas verworrene Rechtslage mit fehlenden Unterschriften und „schwebender Unwirksamkeit“ zeigt leichte Vorteile für Heinz Riech. Auch er hat große Pläne für die „Kurbel“ - nämlich vier kleine Schachtelkinos, wie zu hören ist: schöne neue Kinowelt.

Lutz Ehrlich