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Ent-Schleier der Gefühle

■ Agnes Varda: „Die Zeit mit Julien“: Eine unglaublich-glaubwürdige Liebesgeschichte zwischen einer 40jährigen Frau (Jane Birkin) und einem 15jährigen Jungen

„Jane B.“ und „Die Zeit mit Julien - Kung Fu Master“: Zwei Filme, die eigentlich zusammengehören. Jane Birkin ist die Hauptdarstellerin beider Filme, Agnes Varda die Regisseurin. Im einen Film - „Jane B.“ - portraitiert Varda die Schauspielerin Jane Birkin; der andere Film verarbeitet eine Geschichte, die Jane Birkin geschrieben hat, aus der Agnes Varda ursprünglich eine Episode im Portrait der Schauspielerin machen wollte und die dann doch den Rahmen des Filmportraits gesprengt hat. Wenn es nach dem Wunsch von Agnes Varda ginge, würden die beiden Filme an zwei aufeinanderfolgenden Abenden gezeigt, aber die Verleihpraxis steht dem entgegen, und so ist auch hier erst einmal nur „Die Zeit mit Julien - Kung Fu Master“ zu sehen.

Es ist die Geschichte einer Frau um 40 - Jane Birkin -, die sich in einen 15jährigen Mitschüler ihrer Tochter verliebt. Und dieser Julien ist zunächst vor allem da

mit beschäftigt, das Computer-Spiel „Kung Fu Master“ zu bewältigen; ein Spiel, in dem es zahlreiche Feinde zu besiegen und Gefahren zu bestehen gilt, bis „Sylvia“ befreit ist. In der ersten Szene sieht man den Jungen im Karategewand, wie er, zur Computerfigur verfremdet, mit abgehackten und zugleich hochästhetischen Bewegungen einen erwachsenen Feind bezwingt. Eine Art Traumsequenz, die in ihrer Schönheit schon verrät: Agnes Varda denkt gar nicht daran, die Faszination zu denunzieren, die von Computerspielen ausgehen kann. Varda macht aus den Computer -Zentren keine elektronische Vorhölle für verblödet -isolierte Jugendliche - sie zeigt sie als Teil einer Jugendlichen-Kultur, und wer darin lebt, ist eben nicht

-wie es im Erwachsenen-Blick meist aussieht notwendigerweise stumpf und unlebendig.

Aber Computerspiel ist nur eine Art Mosaikstein in der Handlung dieses Films, in dieser seltsamen Liebesgeschichte zwischen Julien (von Agnes Vardas Sohn gespielt), dem melancholischen, wunderschönen und doch sehr heutigen, nicht artifiziell oder hintergründig stilisierten Jungen, und Mary -Jane, die, spießig ausgedrückt, seine Mutter sein könnte. Und natürlich steht und fällt eine so ungewöhnliche Liebesgeschichte mit der Ausstrahlung der Hauptdarsteller und mit der Inszenierung dieser verbotenen, quasi -inzestuösen Gefühle. „Die Zeit mit Julien“ steht aber nicht und fällt auch

nicht - sie schwebt, fern jedes dramatischen, peinlichen oder unglaubwürdigen Gefühlspathos, auf einem Schleier von Zärtlichkeit dahin. Kein Ver-Schleier, der romantisch sentimentalisiert, eher ein Ent-Schleier, der sacht und doch direkt den Blick freilegt auf eine Liebe, die man in jedem Moment des Films absurd - und ganz selbstverständlich findet.

Mary-Jane gleitet in diese Verliebtheit langsam hinein, will sie nicht wahrhaben und macht sich doch schon auf die Suche nach Julien, dessen Kung-Fu-Master-Leidenschaft sie kennt und - erfolglos - teilen will. Eines Tages steht er mit Blumen vor der Tür, er nimmt die Entwicklung allmählich in die Hand, während Mary-Jane immer noch versucht, ihm und sich selbst die Rolle der mütterlichen Freundin vorzuspielen. Immerhin ist Julien auch mutterlos und lebt bei seinen Großeltern. Und er ist bereits ein kleiner Macho, der, auch wenn er die große, androgyne Jane Birkin zu sich herunterziehen muß, die Überwältigungspose wie ein ausgewachsener Mann beherrscht. Er ist es auch, der am Ende

-man hat die beiden nach ein paar Tagen Insel-Idylle in England natürlich hochempört getrennt - bei seinen Freunden prahlt: „Ich hatte mal 'ne Hausfrau. Naja, was will man machen? Da muß man eben 'ran.“ Mary-Jane sitzt unterdessen im herbstlichen Garten vor ihrem Haus und nähert sich ganz langsam der Tochter wieder an, die ihre Mutter für diese Liebe verachtet hat.

Es geht ein großer Zauber aus von dieser „Zeit mit Julien“, von den warm getönten Bildern, den federleichten Dialogen, der fließenden Beiläufigkeit, mit der die Liebe zwischen dem Jungen und der erwachsenen Frau erzählt wird. Ich kann mir aber auch kaum eine andere Schauspielerin als Jane Birkin denken, die in der Lage wäre, eine solche Liebe erotisch und intellektuell, uneindeutig-gebrochen und sehr verliebt, klug und kopflos zugleich zu spielen. Ihre Beziehung zu Julien ist aussichtslos, das weiß und vermittelt sie in jedem Augenblick. Doch ist sie weder tragisch noch lächerlich, sondern als eigentümliche und glaubhafte Verwirrung der Gefühle über sie gekommen. Das kann jeder Frau passieren und auch nicht.

Sybille Simon-Zülch

Cinema, 21 Uhr.

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