DAS MEDIUM IST DIE BOTSCHAFT

■ Monumento Mori: Die Installation „Plus Ultra“ von Francesc Torres in der GBK

Sind die abgelagerten Aminosäuren, Fett-, Ballast- und Eiweißmoleküle der Geschichte links- oder rechtsdrehend? Das Karussell in der Mitte des Kunstforums in der Grundkreditbank dreht sich jedenfalls gegen den „Uhrzeigersinn“, gegen die bezifferte Zeit. Die Bewegung gegen objektivierte „Zeitläufte“ und deren fatalistische Gleichmütigkeit ist die Beschleunigung in Francesc Torres medialer Stategie gegen die Chronologie historischer Schnappschüsse. Geschichte ist rechtsdrehend, im Uhrzeigersinn. Die Souvenirs, aus dem Zentrum geschleudert, zerstreuen sich.

Der in New York lebende Katalane Francesc Torres lebte 1987 als DAAD-Gast in Berlin. Auch hier „versucht er zu ergründen, wie wir unsere Vergangenheit verstehen und darstellen“ (John G. Hanhardt im Katalog). Das in Berlin vorgefundene Material und Gegenstand seiner Erforschung, „die Wirkungen des Politischen benennen zu können“, war die Spanische Botschaft. Nach Plänen des Speerschülers Krüger war das Gebäude im neuen Diplomatenviertel Ende der dreißiger Jahre in einem Stil errichtet worden, der „eine damals gern gesehene, etwas zu erhabene Vorstellung unseres Wesens“ entsprach, so der heutige Generalkonsul von Spanien in Berlin, Antonio Ortiz. Ein halbes Jahr nach Inbetriebnahme im Februar 1943 wurde die Botschaft durch Bomben schwer beschädigt, in den Nachkriegsjahren als Brennholzreservoir enteignet, darauf notdürftig als Ruine versiegelt. Glasbausteine in den zugemauerten Fensterlöchern werfen einen schmalen bläulichen Lichtstrahl wie von Tarkowski auf das verfallende Gerippe. Es regnet durch zerschlissene Dachlöcher, Pilze quellen für ein paar Septembertage aus dem Moder des kostbaren Parketts und Karteikartenstapel zerfließen zu breiigem Nährboden, auf dem nichts wächst. „Mir kam es weniger wie ein Gebäude als vielmehr wie ein armiertes Schlachtschiff vor, das vom Meeresgrund gehoben wurde und nun verlassen am Strand zum Trocknen und Verrotten liegt.“ (Torres)

Ein deutscher Polizeihund streift durch die verfallenen Räume - der „Körper der Politik“ erscheint grobporig ins zweidimensionale Videobild aufgerastert. Die „dezentrierende Körnigkeit des Mediums“ (Dirk Baecker) zerlegt die Metapher in Filmsequenzen: „ein wagnerischer Bühnenaufbau aus zerbrochenen Möbeln, Glasscherben, Papier und Schutt jeder Art“ (Torres). Die Videokamera fährt die Melancholie eines verlassenen Palastes ab, dessen historische Einzigkeit ins exemplarisch Beliebige zerfällt.

Francesc Torres hat die romantischen Ruinenfluchten und Details des Vergehens in der Spanischen Botschaft aufgenommen und mit historischen Dokumentaraufnahmen collagiert. Das Gesicht eines Angeklagten taucht auf für den Moment, in dem er „Nein“ sagt. Er wurde im Prozeß gegen die Verschwörer des Attentatsversuchs auf Hitler vor Gericht heimlich gefilmt und danach hingerichtet. Ein blondes Kind wäscht die 45jährige Staubschicht vom Boden und legt eine Rosette frei. Ein Lot pendelt über die Saiten eines Flügels und macht ein Geräusch, als zerbräche ein mechanisches Herz. Ein Stiefel zertritt einen Bauklötzchenturm. Die Symbole sprechen einfach: Krieg und Kino.

Torres ließ Fragmente aus der spanischen Botschaft in die Grundkreditbank transportieren: Rostige Wasserkessel, Bruchstücke von Kristallkronleuchtern, gekräuselte Furnierschälungen, Intarsienrosetten, Stuck, Rahmen, der Rest eines Flügels - Gerümpel, die Bausteine eines „Leibes der Politik“: „Geschlagen, aber noch intakt - ein Symbol des spanischen Faschismus“ (Torres).

Aus dem alten Haus geholt erlangen die Gegenstände noch einmal eine Bedeutung, obgleich nichts Signifikantes mehr an ihnen selbst ist. Sie sind aus der Mitte geflogen, dem Karussell, das doch selbst vom Ausstellungswärter immer wieder angeschoben werden muß, um für eine Weile linksdrehend zu kreisen.

Im Radius der historistischen Zentrifugalkraft arrangangieren sich die fragilen Spuren aus der Spanischen Botschaft und die zwölf Monitore der erinnerten Bilder zu einer medialen Elegie. Ein Triumphbogen aus überdimensionalen Bauklötzen, ein Fernsehaltar, vervollständigt die theatralische Inszenierung. Die Camouflage der Geschichte erscheint in Primärzeichen: Würfel, Kubus, Zylinder - fertig ist das Angesicht. „Plus Ultra“ ließ Franco ins Gemäuer tätowieren, Plus Ultra, das Jenseitige, the beyond, ist auch Titel von Torres‘ Installation aus dem Fundus an Materialien und Immateriellem. Die Image-Attacken gegen die Objekte und Objektivierungen der Geschichtsschreibung bleiben gegenständlich. Die Erinnerungsstücke zerbröseln bei der geringsten Berührung. Es ist nur ein Spiel mit dem Pathos. Francesc Torres ist ein politischer Künstler.

Vogel

Plus Ultra, Installation in der Grundkreditbank (Nationalgalerie), Budapester Straße und in der Spanischen Botschaft im Tiergartenviertel bis 20.11.