: Wir sind so frei
■ Über zwei Bücher zur Zunahme von Zensur in den USA
Nan Levinson
Die Schreiber der amerikanischen Verfassung haben in weiser Voraussicht den Ersten Zusatzartikel (Redefreiheit) formuliert, um die Tendenz der Herschenden, ihre Opponenten in der Freiheit von Wort und Tat zu beschränken, in Schach zu halten - und bisher hat und dies Gesetz im großen und ganzen genügt. Aber, so zeigt uns Donna A.Demac in ihrem Buch Liberty Denied: The Current Rise of Censorship in America, selbst die Gründerväter waren nicht allwissend genug, um die Politik der Reagan-Administration voraussehen zu können, unter der die Macht zu einem in Friedenszeiten beispiellosen Ausmaß im Weißen haus zentralisiert worden ist.
In seinem Vorwort zu diesem Buch betont Walter Karp, daß die Tatsache zunehmender Zensur keinen einigermaßen aufmerksamen Leser überraschen kann; die allermeisten Fälle, von denen in Demacs Buch die Rede ist, haben so oder so ihren Weg in die Zeitungen irgendwo in den USA gefunden. Liberty Denied ist wichtig, weil es alle vestreuten Stücke zusammensetzt und uns die Folgen solcher Machtanmaßung zeigt.
Diese Folgen sind unübersehbar. Sie reichen von Selbstzensur und Selbstschutz-Organisation freier Journalisten zur Untergrabung akademischer Forschung; von der Behinderung technischen Fortschritts bis zum Aufwachsen einer Generation, deren Bildung Schweizer Käse gleicht und der allgemein grassierenden Vorstellung, daß neue Ideen und das Denken selbst etwas höchst Suspektes sind. Und auch hiermit ist die Liste noch nicht vollständig. An verschiedenen Stellen ihres Buches illustriert Donna Demac die Beziehung zwischen Regierungspolitik und der Einschüchterung am Arbeitsplatz; der Aufgabe verfassungsmäßigen Rechts, für seine Auffassungen zu werben; ungerechtfertigter Verletzung der Privatsphäre; ungeschriebener oder unverläßlich geschriebener Geschichte; drohender Schließung von Archiven; allgemeiner Medienschelte; der Bewertung von künstlerischen Werken und Information ausschließlich nach ihrem Marktwert; den Lügen von Regierungs-Offiziellen - und insgesamt einer beschämend erfolgreichen Kampagne, legitimen Dissenz zu ersticken.
Die Reagan-Administration hat das nicht alles alleine zustandegebracht - in Amerika ist die Regierung nicht der einzige Zensor -, und schließlich hat noch keine Regierung Opponenten ihrer Politik und Philosophie besonders gefördert. Man muß sich daher fragen, warum diese Regierung so besonders erfolgreich den freien Austausch von Informationen und Gedanken manipulieren und behindern konnte.
Donna Demacs Antwort ist vielfältig. Die Regierung hat sich von der Öffentlichkeit entfernt und ersparte ihr so auf bemerkenswerte Art und Weise, sich mit den folgen von Regierungsentscheidungen zu konfrontieren. Restriktionen wurden, wo irgend möglich, inkraftgesetzt, und zwar im Namen nationaler Sicherheit, die über allem stand, einschließlich dem Parlament und - zeitweise - der Verfassung. Diese Leidenschaft für Restriktionen war in der Regierung weitverbreitet, aber die Administration signalisierte auch an alle Instanzen außerhalb der Regierung, daß die Zensur toleriert würde. Hinzu kam außerdem der rapide Ausbau neuer Informations-Technik, durch die neue Probleme erwuchsen und die Legislative mit ihrer Schnelligkeit überrollten.
Aber der vielleicht wichtigste Punkt war, daß der Regierungsapparat damit durchkam. Wenn, wie Demac sagt, die Redefreiheit in den USA „ein ständiges Tauziehen ist zwischen Tendenzen der Regierung, sogenannte Subversive zu unterdrücken, und Bürgerinitiativen, die für mehr Freiheit streiten, dann hat offenbar das Bürgerteam denen, die für die Regierung zogen, erschreckend wenig Widerstand entgegengesetzt.
Demacs Methode zu erforschen, was passierte und warum, ist recht einfach; alle elf Kapitel widmen sich jeweils einem anderen Aspekt regierungsamtlicher oder anderer Zensur. Sie beginnt jeweils mit einer Einführung und kurzem historischen Rückblick zu ihrem Thema und berichtet dann über die schlimmsten Beispiele von Mißbrauch oder Gesetzesverletzung in den letzten zehn Jahren. Abschließend folgt ihre Ermahnung, etwas dagegen zu tun, was sich jedoch leider oft nur auf eine Aufforderung an die Regierung beschränkt, sich selbst besser zu kontrollieren.
Diese Methode ist für die Masse des Materials und die Knappheit des Platzes sehr brauchbar und effektiv, aber Demacs Tendenz, ganze Jahrzehnte innerhalb eines Absatzes zu überspringen und schnelle Verallgemeinerungen zu formuzlieren, und zur Stärkung ihrer Argumente auf andere Veröffentlichungen zu verweisen, ist zumindest anstrengend wenn nicht oft frustrierend.
Dennoch: Donna Demac trägt ihre Argumente überzeugend vor und liefert auch das Beweismaterial. Ihr Thema könnte kaum zu einem besseren Zeitpunkt aufkommen als jetzt, da Amerika mitten in einer Präsidenten-Wahlkampagne steckt, die reich an Nicht-Themen und armen Informationenm ist.
Amerikaner sind nicht besonders gern bereit, zuzugeben, daß es Znesur in ihrem Land gibt. Sie meinen, selbst wenn es ab und zu passiert, sei es doch viel weniger schlimm als anderswo, und darauf sollte man stolz sein.
Ein gefährliches Argument, sagt Demac, denn es spielt denen in die Hände, die zensieren wollen. Wenn wir nicht mehr daran glauben, daß Worte noch der Aufregung wert sind, dann untergraben wir eines der Rechte, durch die sich Amerika als Nation definiert. Indem sie das Ausmaß des Angriffs auf die Redefreiheit zeigt, beweist donna Demac nachdrücklich, daß die größte Gefahr für das, was Amerikanern so wichtig ist, nicht eine gewaltsame Revolution, sondern die tagtägliche stillschweigende Aushöhlung individueller Rechte ist.
Als der Rechtsgelehrte Harry Kalven jr. 1974 im Alter von 60 Jahren starb, hinterließ er die Hälfte eines Buches, das er als Summe seiner Gedanken über den ersten Zusatzartikel der Verfassung und die Probleme, die er enthälöt, gedacht hatte. Es war dieses Manuskript von 1.000 Seiten, das sein Sohn Jamie, freier Jounalist, zu einem buch formte: „A Worthy Tradition: Freedom of Speech in America“.
Für Harry Kalven hatte der Erste Zusatzartikel „Charisma“, und in diesem Buch - wie vorher schon in den meisten seiner Schriften - untersucht er die wesentliche Frage, die sich durch diesen Artikel stellt: Was heißt Redefreiheit? Der Autor bemerkt hierzu, daß die Definitionen, die uns vorliegen, größtenteils erst nach dem Ersten Weltkrieg erarbeitet worden sind, und zwar als juristische Antworten auf provokante Fälle. Das heißt, daß unser Verständnis von Redefreiheit zufällig und lükkenhaft ist, z.B. umfangreich, was amtliche Zensur betrifft, dagegen aber dürftig, wenn es um nicht-amtliche geht - obwohl die Allgegenwart der Massenmedien gerade letztere zu einer großen Gefahr gemacht hat.
Kalven scheint durchaus bereit, diese Unklarheiten zu ertragen, denn die Redefreiheit des Ersten Zusatzartikels ist so etwas wie ein Gewohnheitsrecht und er selbst scheint sehr angezogen von dem Dialog zwischen Gerichten und Gesellschaft, wobei er letztere als eine normative Kkraft sieht, die Vergangenes transzendiert und ständig neue Traditionen von Redefreiheit schafft. Aber wenn Kalven die Kontroversen über den Ersten Zusatzartikel als „Dramatisierung von Tradition“ auch begrüßt, so bemüht er sich doch gleichzeitig, kohärente Prinzipien hinter Gerichtsentscheidungen aufzufinden - und es ist diese Gleichzeitigkeit von Suche nach einem Rahmen und Beachtung von Besonderheit, das sein Denken spannend macht.
In der ersten Hälfte seines Buches anerkennt Kalven unter dem titel Regulation of Content die Gebiete, für die Konsens herrscht: Religiöse Zensur kann nicht akzeptiert werden, Gedanken an sich nicht Regeln unterworfen und der Staat darf seinen Geschmack nicht allen aufzwingen. Er behauptet, daß das Prinzip der Redefreiheit die Möglichkeit der aufwieglerischen Verleumdung (und damit die Bestrafung für Regierungskritik) sogar regiert und untersucht das dornige Problem, wie eine Regierung dann auf jemanden reagieren kann, der über Kritik hinaus zu gewaltsamer oder illegaler Aktion aufruft.
Der zweite Teil des Buches konzentriert sich unter der Überschrift Regulation of Association auf das Verhalten von Regierungen bei radikalem Dissenz und gibt darüberhinaus eine sehr klarsichtige Analyse der antikommunistischen Aktivitäten in den fünfziger Jahren - die keine guten Tage für die Verfassung waren.
Kalvens Buch ist unfertig - wegen seines frühzeitigen Todes, seit dem auch schon wieder 14 Jahre vergangen sind, und weil sein Interesse mehr in spezifischen Fällen und ihren Verästelungen lag als einer allumfassenden Theorie. Jedoch schreibt er über alles, was er im Laufe der Untersuhung streift, mit großem Engagement und macht so deutlich, daß es hier keinesfalls nur um akademische Fragen geht - für ihn nicht und für niemanden.
A Worthy Tradition ist ein schöner Beweis für das Epigramm aus Ezra Pounds Cantos, von dem sich der Titel herleitet: Was du am meisten liebst, ist deine wahre Erbschaft.
-Donna A.Demac, Liberty Denied: The Current Rise of Censorship
PEN American Center, 568 Broadway, NY 10012, 1988, 175 S., Paperback, 6,95 Dollar
-Harry Kalven Jr. (Edited by Jamie Kalven), A Worthy Tradition: Freedom of Speech in America
Harper & Row, NY, 1988, 698S., Leinen, 35 Dollar
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