Chronik eines angekündigten Todes

Der bekannteste Folterknecht der Türkei, Major Esat Oktay Yildiran, wurde von der PKK auf offener Straße in Istanbul erschossen / Während Yildirans Dienstzeit wurden Hunderte zu Krüppeln, viele starben an der Folter  ■  Aus Instanbul Ömer Erzeren

In einem städtischen Linienbus in Istanbul fallen vier Schüsse. Ein Aufschrei, eine blutüberströmte Leiche: Der Major Esat Oktay Yildiran ist vor den Augen seiner Frau und seines zwölfjährigen Sohnes von zwei Männern erschossen worden. Die Täter entkamen mit einem Taxi, dessen Fahrer sie zum Aussteigen zwangen. „Keine Bange, wir lassen dein Auto heil“, riefen die flüchtenden Täter dem Taxifahrer zu.

Ein Offizier wird mitten in Istanbul bei Tageslicht erschossen. Die Terroristenhatz der Medien, die Law-and -Order-Sprüche der Politiker, die Drohgebärden des Militärs

-sie blieben aus, obwohl sich die verrufene illegale, kurdische Organisation PKK zum Anschlag bekannte. Statt dessen Betroffenheit, Schweigen und Erleichterung nach dem Attentat vergangenen Samstag. In aller Stille, wenn auch mit militärischem Zeremoniell, fand die Beerdigung gestern statt. Von den Tätern fehlt jede Spur.

Der Major Yildiran ist kein Märtyrer, den das Regime feiern kann. Seine Tätigkeit, der er auf Weisung von oben nachging, ist geduldet, doch unattraktiv für Publicity. Nach dem Militärputsch war Yildiran in den Jahren 1981 bis 1984 verantwortlich für die innere Sicherheit des berüchtigten Militärgefängnisses Diyarbakir. In der Dienstzeit des „Gestapo-Yildiran“, so sein Spitzname im Militärgefängnis, starben 67 Häftlinge eines unnatürlichen Todes, hunderte wurden zu Krüppeln. 32 Foltertote sollen auf sein persönliches Konto gehen.

Der kurdische Abgeordnete Nurettin Yilmaz, heute Mitglied der regierenden Mutterlandspartei Turgut Özals, kennt den Major aus seiner Gefangenenzeit im Militärgefängnis Diyarbakir. Er war Folterheld Nummer eins. Er ließ die Abflüsse der Toiletten zustopfen. Die ganze Kanalisation des zweiten und dritten Stockes sammelte sich in den Erdgeschossen. Er zwang die Häftlinge dann, aus der Kloake zu trinken.

Yildiran gehörte zu den prominentesten Folterknechten im Lande. Trotz der systematischen Folter nach dem Militärputsch 1980 und der großen Zahl der Folterknechte war sein Wirken so spektakulär, daß er - nach Aufhebung der Zensur - zum Objekt der Medien wurde. In Zusammenhang mit Fällen von Foltertoten im Militärgefängnis Diyarbakir wurde stets sein Name genannt. Es gab einige Ermittlungsverfahren gegen ihn. Doch er blieb bis zu seinem Tod im Dienst, er wurde sogar befördert.

In einem Gerichtsprotokoll des Kriegsgerichtes Diyarbakir aus dem Jahre 1981 ist die Rede des Angeklagten Kemal Pir, ein führendes Mitglied der PKK, dokumentiert: „Ich werde eine historische Rede halten. Esat Oktay Yildiran foltert uns im Gefängnis. Vielleicht werden Sie mich auf dem nächsten Gerichtstermin nicht mehr lebendig sehen. Weil Oktay Yildiran mich ermorden wird. Aber Sie können Esat Oktay Yildiran nach Europa oder auf den Mond schicken, letztendlich wird er gefaßt und getötet werden.“

Beide Prophezeiungen erfüllten sich. 1982 starb Kemal Pir während des Todesfastens aus Protest gegen die Folter Yildirans im Militärgefängnis Diyarbakir.