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Ende oder Anfang

„Endlich! Das ist der Anfang vom Ende, auch wenn das Ende zu spät kommt.“ Mit diesem kurzen und hoffnungsvollen Seufzer der Erleichterung kommentierte als Erster der grüne Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin den Rücktritt von Wilfried Hasselmann. Der geschäftsführende SPD -Landesvorstand hatte allerdings schon am Dienstagnachmittag beschrieben, wie er sich Albrechts „spätes Ende“ vorstellt. Der Ministerpräsident, so wünschen sich die Sozialdemokraten, soll die Macht ähnlich verlieren, wie er sie 1976 erlangt hat: durch eine bröckelnde Koalition. Hatten die Sozialdemokraten bisher Neuwahlen in Niedersachsen stets nur in Pressemitteilungen und Reden gefordert, so wollen sie nun einen Antrag auf Selbstauflösung des Landtages ins Parlament einbringen, und wenn dieser erwartungsgemäß die notwendige Zwei-Drittel -Mehrheit nicht findet, will Oppositionsführer Gerhard Schröder mit einem Konstruktiven Mißtrauensvotum gegen Ernst Albrecht antreten. Damit folgen die Sozialdemokraten allerdings einem Verlangen der Grünen. Die hatten schon vor sechs Wochen eigens eine außerordentliche Landesversammlung einberufen, deren wichtigste Forderung lautete, Schröder solle sich endlich einer Abstimmung gegen Albrecht stellen.

Vor diese Abstimmung über das Mißtrauensvotum haben die Väter der niedersächsischen Verfassung allerdings einige Fristen gesetzt. Die SPD will zunächst bei der Landtagssitzung in 14 Tagen den Antrag auf Selbstauflösung des Parlamentes einbringen, über den der Landtag zwischen dem 21.November und dem 12.Dezember abstimmen müßte. Erst wenn dieser Antrag keine Mehrheit finden sollte, will die SPD sofort anschließend den Antrag auf ein Konstruktives Mißtrauensvotum einbringen, über den dann allerdings auch erst wiederum 21 Tage später, also frühestens Mitte Dezember, abgestimmt werden sollte. Wenn aber Schröder tatsächlich siegen und zum neuen Ministerpräsidenten gewählt würde, will er kein gänzlich neues Kabinett berufen, sondern wiederum nur eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Auflösung des Landtages mit den anderen Parteien aushandeln.

Die Angst vor vorgezogenen Neuwahlen dürfte Ernst Abrechts Ein-Stimmen-Mehrheit auch bei einem Mißtrauensvotum zusammenhalten. Die FDP hat momentan gute Chancen, bei Neuwahlen nicht wieder in den Landtag einzuziehen, und auch die Zahl der CDU-Hinterbänkler würde zusammenschrumpfen, so daß aus den hinteren Bänken kein Dolchstoß zu erwarten ist. Ernst Albrecht begrüßt denn bisher auch den SPD-Vorstoß, weil er die Kräfteverhältnisse im Landtag klarstellen werde.

Ernst Albrecht, der offenbar jetzt eine größere Kabinettsumbildung plant, hat Probleme, einen geeigneten Innenminister zu finden. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Stock hat es bisher offenbar abgelehnt, seine Karriere auf diesem Schleudersitz zu beenden. Am Samstag will Ernst Albrecht vor dem Landesvorstand eine Erklärung über seine Absichten für die niedersächsische Landtagswahl 1990 abgeben.

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