Ehre, Blut, Eros und Tod

■ In Bremer Erstaufführung läuft Paul Schraders „Mishima“: Brilliant photographierterjapanischer Messias der Reinheit, ein exzessives Leben für konservative Werte, Harakiri als finale Performance

„Doch mein Herz sehnte sich nach Tod und Nacht und Blut“. Yukio Mishima, ist das nicht dieser japanische Schriftsteller, der so spektakulär Selbstmord beging? Ja, ja, das ist er. Als wenn eine einzige Tat, zumal die allerletzte, das Einzige ist, was von einem Menschen bleibt. Der Nobelpreisträger Yasumari Kawabata nahm sich ehedem ebenfalls das Leben, doch beherrscht die Erinnerung an seine Auszeichnung sein Andenken.

Warum Yukio Mishima post mortem in Japan wie auch im Westen derart stilisiert wurde? Die Antwort ist wohl nur im Lebensablauf dieses in vieler Hinsicht extremen Menschen zu suchen. Paul Schraders Kinowerk Mishima aus dem Jahr 1985 ist nun in Bremer Erstaufführung zu sehen.

Gespart haben sie wirklich nicht, die beiden renommierten Produzenten Francis Ford Coppola und George Lucas. Für ihr aufwendig gestaltetes Epos verpflichteten sie mit dem Regisseur-Bruder und Japankenner Leonard Schrader einen versierten Drehbuchautor (z.B. Kuß der Spinnenfrau), den präzisen Kameramann John Bailey sowie den Minimalkomponisten Philip Glass.

„Schönheit ist wie ein fauler Zahn, sie ist mein Feind“, sagt der junge Mishima im ersten des auf insgesamt vier Kapitel angelegten Films. Es ist gleichfalls mit Schönheit überschrieben und

kennzeichnet gleich zu Beginn der ersten Rückblenden ein Hauptmerkmal im Leben des Literaten. Schon früh offenbart er einen unstillbaren Hang zu Reinheit und Perfektion im Sinne der traditionellen japanischen Tradition. Dabei ging es ihm weniger um die ebenmäßige Makellosigkeit der Menschen oder Dinge, sondern um den wahren, ideell reinen Gehalt des Lebens. Yukio Mishima war dabei durchaus ein Mann, der mit beiden Beinen im Leben stand. 35 Romane, etwa 200 Novellen sowie Theaterstücke und Drehbücher schrieb der Schriftsteller und Romancier bis zu seinem Tode 1970. Regisseur Schrader läßt die überwiegend autobiographischen Bezüge einiger Mishima-Werke immer wieder in fast abstrakten Bildkompositionen einfließen und entblättert somit Schicht für Schicht die Werte-Hüllen eines in jeder Beziehung bis zum Letzten gehenden Menschen.

Es ist der akribischen Detailbesessenheit dieses Filmwerks zuzuschreiben, daß sich das Bild von Yukio Mishima im Laufe der Kapitel zu einem Mosaik formt und nachvollziehbare Konturen annimmt. Jede zeitgenössische Zigarettenschachtel, jeder Uniformbesatz der Phantasiebekleidung der rechtsgerichteten Privatarmee des „Besessenen bis aufs Blut“ wurde authentisch überliefert. So ergibt sich ein auf

den ersten Blick schlüssiges Bild eines konservativen Idealisten, doch wer war dieser egozentrische Schreiber und Selbstdarsteller denn nun wirklich?

Ein Narzist erster Güte sicherlich. Schrader läßt Mishima in einer Photosequenz als ein mit Pfeilen gemarteter Heiliger Sebastian auftreten, dessen mittelalterliches Originalgemälde einst sexuelle Orgasmen in ihm auslösten. Mishimas homoerotische Leidenschaften, sein Stählen des eigenen Körpers, doch auch seine sado-masochistischen Obsessionen und der ausgeprägte Wundenkult werfen unheilvolle Schatten auf einen international anerkannten Literaten. Blut, Eros und Tod sind immer wiederkehrende Eckpunkte in diesem sorgfältig nachgezeichneten Film, und sie wirken beklemmend.

Nach dem zweiten Kapitel Kunst, das die exzessiven Ideale teilweise bemerkenswert theatralisch aufarbeitete, geht Mishima im Abschnitt Handlung geradewegs in höchst konkrete Sphären rechtsradikaler japanischer Politik. Yukio Mishima verbindet in seiner Tatenokai-Armee, die ei

ner Wehrsportgruppe gleich kommt, Gehorsam vor dem tenno mit einem nationalistischem Waffenkult und einer Blut-und -Boden Ideologie, die in einem elitären Hierarchie-Denken mündet. Er wolle den „Samuraistand neu beleben und eine spirituelle Armee für die Reinheit der japanischen Kultur aufbauen“, sagte er wenige Minuten vor seinem Tode vor vielen Zuhörern.

So komplex Schraders Kino

werk mit all seinen Rückblenden, literarischen Einfügungen und Spielhandlungen auch komponiert sein mag, das Ende des Films ist schon in der allerersten Szene angedeutet. Der konsequente Verfechter der gescheiterten Reinheitsideale des alten Nippon bereitet sich auf seinen seppuku vor, den rituellen Selbstmord. Zu Beginn eines jeden Kapitels werden diese nüchternen und sachlichen Präparationen in ihrem Fortgang reportiert und vereinnahmen die vielschichtige szenarische Handlung im letzten Kapitel Harmonie von Feder und Schwert dann vollends. Auch Paul Schrader kommt nicht umhin, Mishimas spektakuläre Selbstaufschlitzung eklig und unerträglich spannend als filmischen und dramaturgischen Kulminationspunkt zu inszenieren.

So kontrastiert dieses große Stück Kino in seiner formalen Struktur eine uralte japanische Weisheit, die dennoch alle Merkmale einer brillianten Zusammenfassung beinhaltet: Das kostbarste Geschenk des Lebens ist die Ungewißheit.

Jürgen Francke

Schauburg, 23 Uhr