Der Zehnte für die „Fußkranken“

■ Initiativen und Verbände fordern: zehn Prozent der Wirtschaftsförderung für Benachteiligte / Gestern Anhörung mit Behörden und Parteien / FDP: Mehr Jobs als Hausmädchen und Hofkehrer

Den „Zehnten“ mußten die Armen des Mittelalters an die Obrigkeit abgeben. In Bremen werden die Benachteiligten sich diesen „Zehnten“ Jahrhunderte später wieder zurückholen. Nicht von den Fürsten und Bischöfen, sondern aus den Staatsgeldern, die das Land für die Wirtschaftsförderung ausgibt. Ein Zehntel davon soll für nicht an Daimler, MBB oder andere Privatfirmen überwiesen werden, sondern an „soziale Ausbildungs- und Beschäftigungsinitiativen“. Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV), zu dem diese Initiativen sowie freie Wohlfahrtsverbände gehören, stellt diese Forderung schon lange. Gestern hatten Vertreter der Bürgerschaftsparteien und der Behörden Gelegenheit, bei einer Anhörung in der Schule am Wandrahm dazu Stellung zu nehmen.

Die Argumentation der Initiativen klingt einfach: Rund 300 Millionen Mark gibt Bremen jährlich für Wirtschaftsförderung aus. Dennoch bleiben etwa 25.000 BremerInnen ständig arbeitslos. Unter diesen ist ganz sicher die Klientel der Wohlfahrtsverbände und Initiativen: Die körperlich und geistig Behinderten, die Kranken, die strafenlassene Häftlinge, Jugendliche mit ungenügendem Schulabschluß, Frauen, die längere Zeit ohne Beschäftigung waren. 800 von ihnen

finden zur Zeit in Bremen bei Beschäftigungsinitiativen Arbeit: Zum Beispiel in Projekten der Arbeiterwohlfahrt, bei der „Neuen Arbeit“, bei der Fraueninitiative „Quirl“, die für die gestrige Anhörung den Kuchen buk. Der Bremer DPWV -Vorsitzende Alfred Lanmpe sagte gestern bei der Eröffnung: „Wir sind ein Wirtschaftsfaktor“. Die sozial geschützten Arbeitsplätze, wo die Benachteiligten die Chance hät

ten, ohne den Leistungsdruck der Privatwirtschaft am Erwerbsleben teilzunehmen, hätten also ein Anrecht auf Förderung. Der „Zehnte“ belaufe sich auf 30 Millionen Mark. Damit könnten weitere 1.000 geschützte Arbeitsplätze entstehen.

Arbeitsplatz ist aber nicht gleich Arbeitsplatz. Das fand zumindest Georg Urban, der sozialpolitische Sprecher der CDU -Fraktion. 30 Millionen Mark für

die „Fußkranken der Gesellschaft“ aus der Wirtschaftsförderung herauszunehmen, davor „warnte“ er, denn: In der Wirtschaftsförderung schaffen diese Gelder Arbeitsplätze“. Zwischenruf: „Um Arbeitplätze geht es uns ja!“

Auch Wolfram Neubrander, Geschäftsführer der FDP-Fraktion, sieht keine Möglichkeit, Gelder aus der Wirtschaftsförderung abzuzweigen. Sein Vor

schlag: Es sollten mehr „Einfach-Arbeitsplätze“ geschaffen werden. Zum Beispiel sollte es gut verdienenden Leuten über Steuervorteile schmackhaft gemacht werden, wieder Hauspersonal zu beschäftigen. Auch in Industriebetrieben sei „das Faktotum“, „der Hofkehrer“ fast verschwunden. Das Arbeitsamt sollte die Beschäftigung solcher Leute fördern. Zustimmung fand der DPWV bei Marion Poppen (SPD), Mitglied der Deputation für Soziales.

Hans-Christoph Hoppensack, Senatsdirektor in der Sozialbehörde, hielt sich eher bedeckt. „Fragwürdig“ schien es ihm, zusätzliches Geld für die Beschäftigungsinitiativen „irgendwo abzujagen“, also zu Beispiel bei der Wirtschaftsförderung. Eher schon denke er an den „Strukturfond“, also an die 75 Millionen Mark, die Bremen aus dem Länderfinanzausgleich erwartet.

Unterstützung für die Initiativen versprach der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Paul Tiefenbach. Durch die Kürzungen von Leistungen des Arbeitsamtes, drohe den Initiativen ohnedies der Kollaps. Kritik an dem DPWV -Vorschlag meldete Tiefenbach an einem Punkt an: Der DPWV wolle die „Benachteiligten“ für Jobs in der privaten Wirtschaft fit machen. Das sei illusionär, weil in Bremen auf eine freie Stelle 18 Arbeitssuchende kämen.

mw