: Mit Marx gegen Maroditis
■ Wie sich die Kreuzberger selbst vergiften
Gibt es keinen Zielkonflikt zwischen der Kreuzberger Mischung aus Wohnen und Arbeiten einerseits und dem Umweltschutz andererseits? Werner Orlowsky, Kreuzbergs Baustadtrat (AL-nah), wiegelte ab mit Karl Marx: „Wenn eine Idee die Massen ergreift, wird sie zur materiellen Gewalt.“ Heute jedoch ist die Idee - mehr Umweltschutz - oft ein materielles Problem, für Betriebe und Mieter. Anke Woite, Umweltbeauftragte des Bezirks: „Der Konflikt ist durchaus da.“
Frau Woite, Co-Autorin des neuen Kreuzberger Umweltberichts, mußte gestern zusammen mit Orlowsky und Gesundheitsstadträtin Dathe (auch AL) eine ungesunde Bilanz ziehen. Die Kreuzberger Luft ist mit Schwebstaub und krebserregenden Substanzen hoch belastet, in das Grundwasser rinnt das Gift, an Grün mangelt es eklatant. Die Schuld haben - vordergründig betrachtet - die Kreuzberger selbst. Ihre dicht gemauerten Altbauten wollen sie nicht abreißen. Aus ihren Ofenheizungen quillt der größte Anteil an emittiertem Staub, an Schwefeldioxid und Kohlenmonoxid „die Leute verfeuern ja gedankenlos fast alles“, rügte Orlowsky. Bei manchen Schadstoffgruppen - den besonders gefährlichen organischen Verbindungen - stoßen die 281 umweltrelevanten Kleinbetriebe zwölfmal mehr aus als die Kreuzberger Industrie. Die Kleinbetriebe aber - Tankstellen, chemische Reinigungen, Tischlereien und Druckereien -, die garantieren teilweise für die Kreuzberger Mischung im Hinterhof.
Die Kreuzberger sind selber schuld, doch sie können nichts dafür. Für moderne Techniken haben Kleinbetriebe nicht das Geld, Ofenheizungen sichern die billige Miete, der Bezirk selbst hat kaum Kompetenzen. Orlowsky hofft vorerst auf „kleinteilige Maßnahmen“: Hilfe durch den Kreuzberger Umweltberatungsladen, Hof-, Dach- und Wandbegrünung, Modellprojekte, neue Kriterien für Baugenehmigungen. Neue Ideen erhoffen sich die Kreuzberger von dem Umwelthearing, das der Bezirk am Wochenende ausrichtet. Nach dem ersten Hearing vor vier Jahren soll nun Bilanz gezogen werden. Politiker, Verwaltungsfachleute, Experten und einfache Bürger wollen neue Ideen entwickeln - keine aufständischen „Massen“, sondern etwa 150 diskutierende Teilnehmer ergriffen die Idee das letzte Mal. „Materielle Gewalt“, das heißt dann für Orlowsky: mehr Geld, mehr Stellen, mehr Kompetenzen vom Senat.
hmt
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