KREISCHENDES HERZ

■ „Ambitious Lovers“ im Loft

Warum weiß man nicht, aber man ist ganz sicher, daß etwas passieren wird. Das Loft ist halb leer, draußen ist es kalt, die Pizza lauwarm, das Bier schal. Ein diffus dunkles Licht und ein endloses Trommeln von der Platte anstelle einer Vorgruppe. „Thanks for waiting“: Arto Lindsay, die rote Gitarre vor dem grauen Anzug, schnarrt ins Mikrophon, die Angestellten nehmen hinter ihren Schreibtischen Platz. 21.15 Uhr: Konzertzeit. Die New Yorker Avantgarde holt zum Schlag aus.

Eine Explosion am Schlagzeug, und der Raum vibriert plötzlich im warmen Licht. Schultern schieben, Hüften schweben, alles verwandelt sich. Nichts ist so, wie man gedacht hatte. Eine unbeschreibliche Mischung. Ein schwarzes Schlagzeug pflastert den soliden Untergrund, ein schwarzer Bassist reicht ihm die Steine, der südamerikanische Percussionist tänzelt darüber, Peter Scherer am Syntheziser vermißt die Abstände, die Gitarristin reißt heimlich wieder Steine heraus, und Arto Lindsay hastet gedankenverloren vorbei, hat etwas vergessen, dreht sich mit einem Sambaschritt auf der Stelle: Dancing in the street. Es ist Rock'n'Roll, es ist Rhythm'n'Blues, es ist Bossanova, es ist Artnoise, es ist Samba, es ist ein Traum voller Obsessionen.

Arto Lindsays Kopf schwingt sich drehend vor dem Mikrophon. Ein zarter Bossanova weht vorbei: leise, laut, leise. Zart und verhaucht, während die rechte Hand plötzlich für eine Sekunde einen hektischen Aufschrei anreißt. Leise, laut, leise. Die Gitarristin mit langem, hinten zusammengebundenen Haar, mit Mittelscheitel, sieht aus wie Mimi Farina auf einer Folkbühne und spielt wie Sonny Sharrock. Knallhart am Steg, zirpend, unbewegt kontrollierte Extasen. Arto Lindsay gießt nur Tonessenzen dazwischen, aus einem Drei-Minuten -Solo filtert er fünf Sekunden, schiebt sie als Kommentar ein, zerstört nichts. Er hackt, kreischt Tonkürzel, die den Liedern alles verbindliche nehmen und ihnen alles lyrische geben. Mit Liebe zerfetzte Folklore, verlegt in das Kreischen des Herzens und das Singen des Kopfes.

Wenn die Talking Heads Psycho Killer geblieben wären, die B52 noch immer auf ihrem Planet Claire säßen und Astrud Gilberto niemals Stan Getz getroffen hätte, vielleicht wäre diese Musik entstanden. Möglich, daß ich mich täusche. Vielleicht gehört dazu die uralte Besessenheit Arto Lindsays für brasilianische Musik und die klassische Reserviertheit Peter Scherers, um eine nervöse Tanzmusik zu machen, bei der es einem sprachlos warm ums Herz wird. Vielleicht habe ich es auch noch nicht richtig sagen können, daß nur Elvis den Blues singen konnte, daß Van Morrison nur in Amerika über Irland reden konnte, daß Lou Reed nur gut ist, wenn es ihm schlecht geht, daß nur die bedingungslose Liebe gegen sich selbst Musik entstehen läßt. Hackgesang und träumerisches Hauchen - bei den Ambitious Lovers heben sich alle Gegensätze auf und bleiben gleichzeitig hörbar. Vielleicht habe ich es noch nicht deutlich gemacht, es war das einzige Konzert, an das sich mein Herzkopf in diesem Jahr erinnert.

Konrad Heidkamp