: Macht genügt ihnen nicht-betr.: "Das Militär und die Mülltüte", taz vom 22.10.88
betr.: „Das Militär und die Mülltüte“, taz vom 22.10.88
(...) In der Oktoberausgabe eines kirchlichen Gemeindeblättchens wurde auf das wöchentliche KDV-Treffen hingewiesen. Darüber stand als Motto: „Ein kluger Kopf paßt unter keinen Stahlhelm“. Harmloser geht es schon nicht mehr. Aber dennoch regte sich der in Wolfsburg wohnende CDU -Bundestagsabgeordnete Volkmar Köhler, zugleich Staatssekretär im Entwicklungshilfe-Ministerium, deshalb öffentlich auf und sah die Soldaten wieder einmal aus der Gesellschaft ausgegrenzt. Gegen die friedensbewegten Pastoren, die für das Gemeindeblatt verantwortlich sind, begann eine Leserbriefaktion aus der Bundeswehr und ihrem Umfeld, wobei es auch zu persönlichen Beleidigungen kam.
Weshalb reagieren diese Leute so empfindlich, obgleich sie doch über staatliche Macht verfügen und Vernichtungsmittel in den Händen haben, mit denen sie ganz Europa in Schutt und Asche legen können? Diese Macht scheint ihnen nicht zu genügen. Sie wollen außerdem noch anerkannt und geliebt werden. Vielleicht spüren auch die Politiker und Militärs irgendwo in der Tiefe ihres Bewußtseins, daß das, was sie tun, eigentlich sehr verwerflich und nicht zu verantworten ist. Die daraus entstehende Unsicherheit und das schlechte Gewissen lassen sich nur durch ungestörte öffentliche Anerkennung zudecken.
Die Machtmenschen reagieren so hektisch und überempfindlich, weil sie sich offenbar in einer tiefen Legitimationskrise befinden. Alte Feindbilder, die der politischen Geschlossenheit dienten, fallen in sich zusammen. Immer mehr Leute wehren sich gegen Tiefflieger, Manöver und andere Auswüchse des Militarismus, während die Militärs beklagen, daß die „Verteidigungsbereitschaft“ nachläßt und das „Bedrohungsbewußtsein“ in der Öffentlichkeit schwindet.
Wir sollten in unserer Kritik in dieser Situation auf keinen Fall nachlassen. Aber wir müssen uns davor hüten, alte Feindbilder durch neue zu ersetzen, wo es doch darauf ankommt, den Militaristen ihre Waffen aus der Hand zu nehmen, aber sie als Menschen in eine friedliche Gesellschaft zu integrieren.
Jörg Schulz-Trieglaff, Hannover
Ein dickes Lob für Westphalens geistreichen, witzigen und konsequent antimilitaristischen Artikel und die damit verbundene Entlarvung der vermeintlichen Liberalität von 'Zeit‘ und Co. Seit langem mal wieder eine gelungene Mischung aus Witz und politischer/kultureller Meinungsäußerung auf den oft drögen Kulturseiten. (...)
Daniela Kreh, Berlin
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