„Obwohl Herr Tucholsky aufgefordert wurde...“

Wie das Statistische Landesamt dem Mikrozensus-Boykotteur Dr.Kurt Tucholsky auf die Spur kam und dabei krasse Gesetzesverstöße preisgab / „Sehr geehrter Herr Tucholsky“, melden Sie sich polizeilich an, schrieb das Statistikamt  ■  Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Alles fing mit einem Zufall an. Der Zufall nämlich hatte entschieden, daß in der ansonsten völlig unbescholtenen bayerischen Gemeinde Huglfing ausgerechnet das Haus Bachstraße 15 zum Objekt statistischer Begierde ausgewählt wurde. So stand gut ein Jahr nach der Volkszählung dort im Mai ein Herr namens Hiesinger vor der Eingangstür. Im Auftrage eines gewissen Mikrozensus, so erklärte er, käme er, um die Bewohner des Hauses nach Einkommen und Urlaubszielen, akademischem Titel und hygienischen Wohnverhältnissen zu befragen. Leider mußte er unverrichteter Dinge vondannen ziehen. Nur Gäste traf er an in der Bachstraße 15, doch keinen einzigen Hausbewohner, obwohl die eigentlich recht zahlreich sind. Weisen doch die Namenschilder an den Briefkästen neben einem stadtbekannten Volkszählungsanwalt auch einen Herrn Karl Valentin und einen gewissen Dr.Kurt Tucholsky als Mieter aus. Eben jenem Herrn Tucholsky ließ der Besuch des Interviewers Hiesinger keine Ruhe, und er fragte schriftlich nach, was denn sein Begehr gewesen sei. Am 17.Juli, exakt um 14.30 Uhr, stünde er gern zu einem Gespräch bereit. Schon jetzt, so erklärte Dr.Tucholsky mit freundlichem Gruß, könne er jedoch mitteilen, daß die Angaben über die Hausbewohner, die offenbar aus dem amtlichen Melderegister stammten, „nicht die tatsächlichen Verhältnissen im Hause Bachstraße 15 wiedergeben“. Dies hätte Herrn Hiesinger als Helfer der amtlichen Statistiker beunruhigen müssen. Doch das tat es nicht, denn er hatte - wie er Herrn Tucholsky am 8.6. mitteilen durfte - den Vorgang längst dem Statistischen Landesamt München übertragen. Dieses werde auch auf das angebotene Gespräch zurückkommen. Was es auch tatsächlich eine Woche später in der Person des Herrn Atzenhofer tat. Geschmückt mit den Bayerischen Löwen im Briefkopf teilte Herr Atzenhofer dem „sehr geehrten Herrn Dr.Tucholsky“ nicht nur mit, daß man für weitere Rückfragen zur Verfügung stände, sondern fügte gleichzeitg einen amtlichen Fragebogen für den Mikrozensus bei, der „ausgefüllt binnen zwei Wochen einzusenden“ sei.

Nun wissen nicht nur enge Freunde, daß es sich bei Dr.Kurt Tucholsky um einen sehr verschlossenen Menschen handelt. Häufig gibt er nicht einmal seinen wahren Namen preis und bedient sich bizarrer Decknamen wie „Peter Panther“ oder „Theobald Tiger“. So war es nicht überraschend, daß Herr Tucholsky dem Amt beschied, die Fragen in den Bögen seien ihm doch zu sehr „in den Intimbereich gehend“ und er denke gar nicht daran, sie zu beantworten. Alles weitere regele wegen eigener „berufsbedingter häufiger Abwesenheit“ - nun sein Rechtsanwalt.

Das Bayerische Statistikamt, jetzt in der Person des Regierungsrates Dohmen, reagierte verärgert. „Obwohl Dr.Tucholsky aufgefordert wurde, die beiliegenden Fragebögen zum Mikrozensus auszufüllen, kam er dieser Aufforderung bis heute nicht nach“, schalt er und verhängte, „um unserem Auskunftsverlangen rechtlich Nachdruck zu verleihen“, ein Zwangsgeld von 100 Mark.

Mochte es bei diesem Schreiben noch mit Recht und Gesetz zugehen, so traf mit gleicher Post ein Brief bei Herrn Tucholsky ein, der die so paragraphentreuen Amtmänner eines krassen Gesetzesverstoßes überführte. Unter „Betrifft: Erfüllung der Meldepflicht“ ergriff die Meldestelle der Gemeinde Huglfing das Wort. „Laut Mitteilung des Statistischen Landesamtes“, hieß es dort, „sollen Sie in der Gemeinde Huglfing eine Wohnung bezogen haben.“ Sofern Herr Dr.Tucholsky „die Wohnung regelmäßig zum Wohnen und Schlafen benutze“, werde er hiermit aufgefordert, sich umgehend polizeilich anzumelden. Zu dumm nur, daß die Meldestelle das, was sie zu wissen glaubte, gar nicht wissen durfte. Das Statistische Landesamt hätte ihr wegen des strikt verbotenen Melderegisterabgleiches gar nichts über die Wohnverhältnisse des Herrn Tucholsky mitteilen dürfen. Zu dumm auch, daß Amtmänner des Lesens nicht sehr begierig sind, sonst hätten sie gewußt, daß eben jener Herr Tucholsky die Frage „Was darf Satire“ schon vor Jahren mit einem klaren „Alles!“ beantwortet hat. Sie hätten sich vielleicht auch erinnert, daß Herr Tucholsky angesichts der willkürlichen Kontrollen bayerischer Behörden ihnen längst ein schriftliches Denkmal gesetzt hat: „Fahrt nicht nach Bayern, wenn man euch schikaniert! Boykottiert es! Wollt ihr euer Geld Leuten in den Rachen werfen, die auch belästigen?“ hatte Dr.Kurt Tucholsky allen Bayern-Urlaubern in einem wütenden Pamphlet zugerufen. Aber wie gesagt, das ist lange her und geschah 1919, sechzehn Jahre vor dem Tod des geschätzten Mikrozensusboykotteurs Kurt T.