Regierungsfahrplan für den Grundrechtabbau

Bis zum Ende der Legislaturperiode sollen Sicherheitsgesetze weiter verschärft werden, aber auch die Strafprozeßordnung, das Ausländergesetz / „Befürwortung von Gewalt“ soll strafbar werden, wie auch die umstrittene Kronzeugenregelung eingeführt werden soll  ■  Aus Bonn Oliver Tolmein

Mit ihren großen Jahrzehnt- und Jahrhundert-Entwürfen hat die Regierungskoalition zwar viel verändert, aber wenig Glück gehabt. Sowohl aus den Beratungen zur Steuerreform als auch aus den Debatten um das Gesunsdheitsreformgesetz sind die Konservativen und Liberalen zwar einig, aber lädiert herausgegangen. Die Taktik in der sicherheitspolitischen Diskussion bewährt sich da offensichlich besser: Stück für Stück, Paragraph für Paragraph wird in mühevollster Kleinarbeit die ohnehin schon lange nur noch kleingeschriebene bürgerliche Freiheit grenzenlos demontiert. Während die KritikerInnen der Repression sich noch den Kopf über die Praxis des zum 1.1.1987 erweiterten § 129a zerbrechen und überlegen, wie die Einführung des kürzlich in den Bundestag eingebrachten § 130b (Strafbarkeit der Befürwortung von Gewalt) verhindert werden kann, haben die JuristInnen im Bundesjustizministerium schon ihr nächstes Werk auf den Weg gebracht: die Reform der Strafprozeßordnung, nach der die Praxis der verdeckten Ermittlungen legalisiert werden soll. Der notwendige Blick auf die zahllosen Details verstellt dabei den Blick aufs Ganze.

Vier Vorhaben zur besseren innenpolitischen Befriedung will die Regierungskoalition möglichst bis zum Ende der Legislaturperiode durchgesetzt haben: Erstens das Artikelgesetz, das neben der Einführung des 130b StGB, die seit längerem diskutierte Kronzeugenregelung und die Verschärfung des sogenannten Vermummungsverbots beinhaltet; zweitens der Komplex der Sicherheitsgesetze, zu dessen Bestandteilen die Neuregelung der gesetzlichen Grundlagen des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) gehört. Dann soll die Zusammenarbeit von Geheimdiensten und Polizeibehörden geregelt werden. Drittens ist eine Reform der Strafprozeßordnung geplant, die vor allem die Leitsätze des Bundesverfassungsgerichts zum informationellen Selbstbestimmungsrecht berücksichtigen soll. Als viertes, last not least, soll das neue Ausländergesetz, nach dem Willen des Bundesinnenministers, auch „extremistische“ politische Aktivitäten von Ausländern in der BRD bekämpfen helfen.

Den kürzesten Weg hat das Artikelgesetz vor sich. In den Bundestag eingebracht ist es bereits. Umstritten ist zwischen den Koalitionsparteien nur noch, ob der § 130b Bestandteil des Gesetzes bleiben soll oder nicht. Ende des Sommers sah es noch so aus, als ob die Vorschrift wieder gestrichen würde. Nach dem Anschlag auf Finanzstaatssekretär Tietmeyer wurde sie aber mit den anderen Paragraphen -Änderungen zusammen in den Bundestag eingebracht. Ob es dabei bleibt, wird wohl von den 20 ExpertInnen abhängen, die am 30.11.88 auf einer Anhörung des Rechtsausschusses zum Artikelgesetz Stellung beziehen sollen.

Während das Artikelgesetz fast fertiggestellt ist, gibt es um den Komplex der Sicherheitsgesetze, zu dem auch das neue Bundesdatenschutzgesetz gehört, noch heftigen Streit. Er wird allerdings vor allem innerhalb der FDP geführt. Nachdem sich das FDP geleitete Justiz- und das CSU-geführte Innenministerium auf einen gemeinsamen Entwurf geeinigt hatten, ging der FDP-Politiker Burkhard Hirsch empört an die Öffentlichkeit. Seiner Meinung nach werden in dem Paket von einzelnen Gesetzentwürfen die Arbeit von Polizei und Geheimdiensten nicht überzeugend genug getrennt. Das ist nicht erstaunlich. Geändert hat sich gegenüber dem von den liberalen Rechtspolitikern in der letzten Legislaturperiode gestoppten Zusammenarbeitsgesetz (ZAG) nämlich nach Auffassung von Insidern „fast gar nichts“. Die Bestimmungen über den Informationsaustausch von Verfassungsschutz und Polizeien sollen jetzt im Unterschied zum ZAG nur in den jeweils auf die Dienste bezogenen Gesetzen (MAD, VS, BND) geregelt werden. Um die strittigen Fragen zu klären, werden diese Gesetzentwürfe im Kabinett und anschließend in Koalitionsrunden verhandelt. Der Zeitplan sieht vor, daß sie Anfang nächsten Jahres in die parlamentarische Beratung eingebracht werden. Dann wird wahrscheinlich auch ein erster Diskussionsentwurf zur Reform der Strafprozeßordnung fertig sein, der in diesem Anfangsstadium aber nicht nur von den Parteien, sondern auch den diversen juristischen Fachverbänden diskutiert werden soll.

Ähnlich langfristig ist auch die Diskussion um das Ausländergesetz zu sehen: zwar hat der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Gerster, kürzlich behauptet, er erwarte eine Einigung bis 1990. Derzeit gibt es aber noch nicht einmal Einigkeit innerhalb und zwischen den Parteien, ob es ein einheitliches Ausländergesetz geben soll oder, wie Zimmermann es will, zwei: ein Ausländerintegrations- und ein Ausländeraufenthaltsgesetz.