Kriegerisches Unfallszenario

Die US-Armee verfügt nach Unfällen mit Atomsprengköpfen über diktatorische Vollmachten / Neue Details aus Geheimplan bekanntgeworden / Rigorose Pressezensur und „tödliche Mittel“ gegen „Störer“  ■  Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Die Kompetenzen amerikanischer Spezialeinheiten nach Unfällen mit oder Überfällen auf US -Atomwaffen in Europa sind praktisch unbegrenzt. Das geht aus einem Geheimplan mit dem abgekürzten Titel „Usinceur Conplan 4367-87“ vom 30.Januar 1987 hervor, aus dem jetzt neue Einzelheiten bekannt wurden. Danach bestimmen allein die Amerikaner, was dem bundesdeutschen Publikum in einem solchen Fall über die Medien serviert wird. Nach einem Bericht in der neuesten Ausgabe des 'Vorwärts‘ ruhen die offiziellen Sprachregelungen inklusive vorgedruckter Pressemitteilungen für unterschiedliche Szenarien versehentliche Zündung, Verlust oder Diebstahl eines Atomsprengkopfes oder Unfall beim Transport - bereits in den Schubladen.

Wörtlich heißt es in dem Plan, auf dessen Verteilerliste neben dem Bundesverteidigungsministerium die Regierungen acht weiterer europäischer Regierungen stehen: „Es ist vor allem sicherzustellen, daß die Medien des Gastlandes für die US-Stellen zur Verfügung stehen. Die US-Stellen behalten sich vor, Berichten von Journalisten vor der Übermittlung auf mögliche Verletzungen militärischer Geheimhaltungsbestimmungen zu überprüfen.“ Aus dem Plan geht hervor, daß die Bevölkerung nur über die Verwicklung von Atomwaffen etwa beim Unfall eines Militärtransportes unterrichtet werden soll, wenn nach Einschätzung der Amerikaner unmittelbare Gefahr herrscht.

Sobald die US-Streitkräfte am Ort des Geschehens eintreffen, werden „sie Aufgaben der zivilen Behörden des Gastlandes übernehmen“, bestimmt der Plan. Von den Verantwortlichen des betroffenen Landes wird erwartet, „daß sie sich unter den Befehl des US-Personals stellen“.

Lediglich die Evakuierung und Kontrolle der Bevölkerung soll laut Conplan in der Zuständigkeit der Zivilbehörden bleiben - allerdings nur solange „keine Gegenaktionen von oppositionellen Personen, radikalen Elementen oder feindlichen Streitkräften“ zu verzeichnen sind. In einem solchen Fall, von dem der Geheimplan ausdrücklich ausgeht, ist die Anwendung „tödlicher Mittel“ gegen „Störer“ freigegeben.

Der jetzt bekanntgewordene Plan des US-Oberkommandos in Europa aus dem Jahre 1987 ersetzt ausdrücklich ältere geheime Richtlinien, die etwa nach Unfällen, in die Atomsprengköpfe verwickelt sind, in Kraft treten sollten und wohl bereits in Kraft getreten sind. Anfang November 1981 sorgte ein Pershing-1a-Transporter für Schlagzeilen, als er mit versagenden Bremsen in das badische Dorf Waldprechtsweier bei Karlsruhe donnerte, einen Menschen tötete, mehrere Pkw plattwalzte und schließlich an einer Hauswand zum Stehen kam. Was sich nach diesem Unfall abspielte, entspricht in vielen Details den Bestimmungen des nun veröffentlichten Conplan-Geheimpapiers. Nach ihrem Eintreffen riegelten schwerbewaffnete US-Spezialeinheiten den Unfallort weiträumig ab, die EinwohnerInnnen des Dorfes, mehrere hundert Personen, wurden evakuiert und in einer Turnhalle des Nachbarortes untergebracht. Die Amerikaner und die Bonner Hardthöhe dementierten unisono, daß ein atomarer Sprengkopf mitgeführt wurde. Man habe lediglich eine Betonattrappe dabei gehabt, wurde versichert.

An dieser Version wurden damals erhebliche Zweifel laut, nachdem ein in unmittelbarer Nähe des Unfallorts lebendes Ehepaar berichtete, in der Nacht nach dem Unfall sei der vordere Teil der Rakete abgeladen und mit einem Militärfahrzeug abtransportiert worden. Die Eheleute waren in der Dunkelheit unbemerkt von den amerikanischen Militärpolizisten in ihr Haus zurückgekehrt. Beim Versuch zur Rechtfertigung ihrer nächtlichen Aktivitäten, die entgegen den Absprachen mit den örtlichen Behörden durchgeführt wurden, verwickelten sich die US-Militärs in der Folgezeit in nie aufgelöste Widersprüche.