Wenn alle Läden schlafen...

■ ...wird das Einkaufen zum Abenteuer / Nach Ladenschluß in Kiosken, Trinkhallen, in Automatenläden und an Tankstellen / Kleine Einkaufsparadiese im Dschungel der Gesetze / Einzelhändler streiten

Feierabend, Wochenende. Da taucht plötzlich dieses unbändige Verlangen nach bestimmten Nahrungs- und Genußmitteln auf. Die Läden sind längst geschlossen. Küche und Keller bieten ein Bild schieren Mangels. Kein Grund zur Panik. Abhilfe schaffen Kioske, Trinkhallen, Tankstellen, 'Quick-Shops‘. Weit über die gewöhnlichen Geschäftszeiten hinaus befriedigen sie den spontanen Bedarf.

Kaufen und Schnacken

Ein Kleinod besonderer Art ist der 'Automaten-Laden‘ in der Neustadt. Wer den schlichten Ladenraum an der Ecke Gastfeld -/ Graudenzerstraße betritt, wird vom Charme der 60er Jahre umzingelt. Den KundInnen starren von allen Wänden kalte Automatenschränke entgegen. Hinter ihren unzähligen verglasten Fä

chern liegt, wohlgeordnet, die bunte Vielfalt an Lebensmitteln des täglichen Bedarfs. Vom Bier über Butter, bis hin zum Badezusatz. Ein paar kleine Münzen genügen, und schon hat man das Gewünschte. Ein nüchterner Kaufakt in kühlem Interieur.

Doch der Laden ist mehr als nur ein Laden. Seit 17 Jahren betreibt ein freundliches Ehepaar dieses Geschäft. Füllt die Automaten auf, nimmt Leergut entgegen und verkauft Nachschub direkt aus dem Kasten. Die KundInnen sind NachbarInnen, Alte, Junge, Kinder. Man kennt sich, plaudert, während man die Geldstücke in die Automaten wirft. Der Laden gehört zum lebendigen Alltag in diesem Quartier. Da überrascht es nicht, daß Kinder kommen und dem Besitzer ein selbstgefertigtes Bild schenken: „Für Dich und Deine Frau.“ Ein

fach so und ohne etwas zu kaufen.

Rund um die Uhr

Auch sonst ist der Laden einmalig: Im Gegensatz zu Kiosken, Trinkhallen oder Tankstellen fallen Automaten nicht unter das Ladenschlußgesetz. Und dennoch gibt es Probleme. Bekommt Opa Meier seine drei Flaschen Bier bis 18 Uhr 30 noch völlig legal direkt aus dem Bierkasten, ist der Verkauf nach 18 Uhr 30 illegal. Opa Meier muß an die Automaten verwiesen werden. Nicht gerade verbraucherfreundlich und zumal unter Nachbarn schwer durchzuhalten, aber Gesetz.

Am Rande oder bereits in der Illegalität befinden sich die übrigen, für den Verbraucher so segensreichen Einrichtungen. Sie betreiben ihre Geschäfte auf der Grundlage von Sonderregelungen der Ladenschluß und Gaststättengesetze. Einige Beispiele: Eine Tankstelle darf 24 Stunden geöffnet sein, Benzin und Autobedarf verkaufen. Außerdem alle Dinge, die der Fahrtüchtigkeit der AutofahrerInnen dienen. Süßigkeiten, Tabakwaren, Erfrischungsgetränke, also keinen

Schnaps. Ein Kiosk darf sonntags von 11-13 Uhr geöffnet sein, aber ausschließlich Tageszeitungen verkaufen. Also kein Pornoheft, kein Kaugummi, keine Zigaretten. Ein Glück:

Nur Stichproben

Die fünf „Quick-Shops“ Bremens führen einen irreführenden Namen. Sie sind formal Cafes oder Trinkhallen und dürfen in begrenztem Rahmen Eß- und Trinkbares außer Haus verkaufen. Keine Bücher oder Spielzeuge. Ein Blick in alle Läden zeigt bereits die klaffend Lücke zwischen Gesetz und Wirklichkeit. Doch wo kein Kläger, da kein Richter. Dem Gewerbeaufsichtsamt obliegt die Kontrolle. Sie geschieht stichprobenartig oder aufgrund konkreter Hinweise oder Anzeigen. Verstöße werden mit Bußgeldstrafen, schlimmstenfalls mit Konzessionsentzug geahndet.

Anzeigen gibt es zumeist von Einzelhändlern, die sich an die gesetzlichen Ladenschlußzeiten halten müssen und im Zubehörhandel einen Konkurrenten sehen. Herr Krauß vom Einzelhan

delsverband Nordsee dazu: „Wir wollen die Kirche im Dorf lassen, aber es gibt in Bremen Trinkhallen, die haben ihr Angebot so ausgeweitet, das sind schon Lebensmittelgeschäfte. Die zeigen wir an.“ Wegen Verstößen gegen das Ladenschlußgesetz oder gegen den lauteren Wettbewerb laufen zur Zeit etliche Verfahren in der Justiz.

Regel-Wirrwarr

Bundesweit gelten die gleichen Gesetze inklusive der zahlreichen Sonderregelungen. Doch Auslegung und Anwendung sind von Bundesland zu Bundesland, von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Was in Niedersachsen üblich ist, ist in Bremen noch lange nicht erlaubt. Einzelhandel sowie die Kiosk- und Trinkhallenbesitzer sind an einer einheitlichen Regelung interessiert. Nur die ist nicht in Sicht. Solange sind wir Schusseligen, die beim Einkauf die Milch vergessen oder die um 22 Uhr 13 nach Lakritz gieren, auf das Wohlwollen derer angewiesen, die unserem Kiosk das Geschäft neiden.

Claudia Jokisch