Haftanstalten sind keine Lehranstalten

■ Schulausbilung ist in den Knästen nur eine Randerscheinung / Vor allem für inhaftierte Frauen gibt es kaum ausreichende Bildungsmöglichkeiten / Grundbildungskurse wurden sogar wieder abgeschafft / Oberlehrer ist immer der Justizsenator

500 SchülerInnen arbeiten in Berlin von der Allgemeinheit so gut wie unbemerkt ihrem Schulabschluß entgegen. Ihre Unterrichtsstunden finden im Knast statt. Schule im Strafvollzug ist, wie es ein Anstaltsleiter formulierte, nur eine „Randerscheinung“.

Eingebettet in ein System von Unfreiheit und ständiger Überwachung, bemühen sich Jugendliche und junge Erwachsene darum, nun einen Abschluß oder das Grundwissen nachzuholen, das sie früher nicht schafften.

„Ich möchte meine Haftzeit sinnvoll nutzen, deshalb habe ich mir als meinen Arbeitsplatz die Schule ausgesucht“, sagt Chris. Sie sitzt derzeit 23 Monate im Frauenknast ab. Zusammen mit acht anderen Schülerinnen im Alter zwischen 22 und 33 Jahren bereitet sie sich mit Hilfe einer Lehrerin und eines Lehrers auf den Hauptschulabschluß vor. Chris hatte anfangs noch erhebliche Schwierigkeiten beim Lernen, kam mit sich und ihrer Situation im Knast nicht zurecht. Sie sagt, daß das Verständnis ihrer Lehrer ihr geholfen habe, nach und nach die Probleme in den Griff zu bekommen. „Ich glaube nicht, daß ich diese Hilfe für meine Entwicklung in einem anderen Arbeitsbereich erhalten hätte“, so Chris.

Die Hauptschulprüfung wird von einer externen Prüfungskommission in der JVA Tegel abgenommen. Die Frauen werden zur Prüfung dorthin gebracht, eine Hemmschwelle, die manche schon vom Kursus abgehalten hat. Doch das ist nicht der einzige Grund, weshalb bislang nur sehr wenige Frauen im Knast überhaupt einen Abschluß gemacht haben.

„Die Zusammensetzung der Inhaftierten ist einfach zu heterogen“, erzählt Ursula Jack, die von 1982 - 1987 in der JVA Frauen unterrichtet hat. „Es gibt alle möglichen Altersstufen und Vorbildungen, da ist es einfach schwierig, bei nur 120 Frauen einen Hauptschulkurs zusammenzubekommen.“ Frau Jack war die erste festangestellte Lehrerin im Frauenknast überhaupt. Während bei den Männern Bildungsmaßnahmen seit Jahrzehnten mit Erfolg durchgeführt werden, haben sie bei den inhaftierten Frauen erst mit den achtziger Jahren Einzug gehalten.

In der JVA für Frauen wurde zunächst versucht, ein Schulkonzept zu entwickeln, das den Bedürfnissen der Frauen entspricht. So sollten Grundbildungskurse nach dem Vorbild der Volkshochschule auch denen etwas bringen, die sich für einen Hauptschulabschluß bereits zu alt fühlten oder ihn schon hatten und nur ihre Lücken wieder auffüllen wollten. Ein Angebot, das von vielen Frauen genutzt wurde. Dennoch oder gerade deswegen wurden diese Kurse - von der Anstaltsleitung als „Wildwuchs“ bezeichnet - vor drei Jahren verboten. Nun gibt es nur noch Lehrgänge, die zu einem Schulabschluß führen. „Den Frauen wurde einfach das Bildungsinteresse abgesprochen“, ärgert sich Ursula Jack, „es hieß, die kämen doch nur, weil es bei uns immer Kaffee gäbe und sie dann nicht arbeiten müßten.“

Die Zahlen sprechen für sich: Waren es bis 1985 teilweise fast 60 Frauen, die in Deutsch-, Englisch- oder Schreibmaschinenkursen Wissenslücken füllten, so sind es bis heute ganze drei, die den Hauptschulabschluß machten.

Die fragwürdige pädagogische und bildungspolitische Konzeption der Schulmaßnahmen in den JVAs zeigt sich nicht nur im Mangel an Betreuung und Richtlinien für die KnastlehrerInnen, sondern auch daran, daß der Justizsenat nicht nur die dienstliche, sondern auch die Fachaufsicht über die LehrerInnen hat. Fachliche Beurteilungen werden also nicht von Pädagogen, sondern von Juristen vorgenommen.

Christine Dankbar