„Ein Hauch von Eheleben“

■ Erzählungen der Japanerin Taeko K_ono.

Die Hauptpersonen ihrer Erzählungen sind Frauen. Deren alltägliche Verrichtungen sind banal, zu banal, um nicht gleichzeitig wieder unheimlich zu werden und den Blick zu öffnen auf die inneren Abgründe ihrer Gestalten. Die 1926 geborene japanische Schriftstellerin und Essayistin Taeko K_ono widmete sich erst spät ausschließlich der literarischen Tätigkeit. Seit den 60er Jahren ist sie immer wieder mit wichtigen Preisen für ihre Prosa ausgezeichnet worden. Der Insel-Verlag legt nun - übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Irmela Hijiya-Kirschnereit - einen Band mit zum größten Teil in den 60er Jahren entstandenen Erzählungen vor. Er trägt den Titel der Erzählung Knabenjagd, mit der K_ono der literarische Durchbruch gelang (anläßlich der Buchmesse 1985 abgedruckt in dieser Zeitung).

Knabenjagd - das ist die fast ekelerregende Zuneigung einer ledigen Frau mittleren Alters zu kleinen Jungen samt der Fetischisierung von deren Kleidungsstücken. Sie ist gepaart mit tiefem Haß gegenüber kleinen Mädchen, ja gegenüber dem eigenen Geschlecht überhaupt, und einer ausgeprägten Neigung zu sado-masochistischen Praktiken im Umgang mit ihrem erwachsenen männlichen Partner.

Ein weiblicher (Sado-)Masochismus durchzieht als Haltung latent auch die anderen Erzählungen. In Krabben hat sich eine junge kränkelnde Frau einen Seeurlaub gegönnt und wird dort von ihrem kleinen Neffen besucht. Das Kind hat am Stand Muscheln und Seetiere gesammelt; eine tote Krabbe, die sich unter dem Sammelgut befand, ist dabei zerbrochen. Mit dem Versprechen, sie zu ersetzen, darf der Junge noch einen Tag an der See bei seiner Tante bleiben. Dieser Tag wird für sie zur Hölle, zu einer vergeblichen Krabbensuche, die sich geradezu zur Obsession auswächst, den Wunsch des Kindes unbedingt zu befriedigen.

Die Erzählungen K_onos wirken auf den europäischen Leser formal wie umgekehrte Novellen: Wenn die Novelle durch die Schilderung einer unerhörten Begebenheit gekennzeichnet ist, so erzählt K_ono in ihren Texten alltägliche Begebenheiten, die sich erst in den unaufhörlich darum kreisenden Gedanken, Träumen und Phantasien ihrer Frauengestalten zu unerhörten Begebenheiten, ja regelrechten Katastrophen auswachsen. Sie lassen ihnen keine Ruhe und quälen sie. Gerade darin aber liegt so etwas wie ein heuristisches Moment: an den kleinen Dingen und in der Reflexion darüber, warum sie so viel Bedeutung annehmen können, werden sich die Frauen darüber klar, daß irgend etwas in ihrem privaten Leben - ihrer (wilden) Ehe oder Familie - nicht stimmt. Etwas, das sie bislang doch als selbstverständlich vorausgesetzt und hingenommen haben. Durch die Lakonie, mit der K_ono diese Überlegungen beschreibt, entbehren sie oft nicht einer gewissen Tragikomik. So beschäftigt sich in der Erzählung Die letzten Stunden eine Frau, der prophezeit wurde, sie habe nur noch 26 Stunden zu leben, ausschließlich damit, den Haushalt ihres Mannes so zu organisieren, daß er auch nach ihrem Ableben reibungslos funktioniert. Ja, sie versteckt in den Kleidern ihres Mannes sogar Botschaften an dessen zukünftige Frau und schreibt ihr im Bewußtsein völliger Austauschbarkeit: „Lassen Sie sich all das kaufen, was mir entgangen ist. Und was ich dagelassen habe, mag vielleicht nicht von Nutzen sein, aber machen Sie bitte frei davon Gebrauch. Ich habe auch die Sachen meiner Vorgängerinnnen benutzt. Ich freue mich, wenn Sie es gebrauchen können.“

In ihrer Ehe gab es eigentlich nie Streit und insofern für sie auch keine „richtige Ehe“. „Vielleicht suchte sie damit (wenn sie Asari für geizig hielt) einen Hauch von Eheleben.“

All dies wunschlose Unglück der Frauen kommt stilistisch ganz leichtfüßig daher. Taeko K_ono kennt die europäische Literatur des 19.Jahrhunderts. (Flaubert, Fontane, Bronte). Ihre bewußt einfach gehaltene Sprache wird getragen von ausgefeilten Erzählungskonstruktionen, die erst allmählich das Schreckliche zutage treten lassen: Krieg, Krankheit, Tod. In der letzten 1976 geschriebenen Erzählung Der Eisenfisch trennt sich eine Frau kurz vor Schließung einer Gedenkstätte für die Helden des Zweiten Weltkriegs von ihrer Freundin. In diesem Gebäude will sie die Nacht verbringen, um in den Typus jenes Torpedoboots zu steigen, in dem vor mehr als 20 Jahren ihr erster Mann als Kamikaze-Kämpfer umkam. Die öffentliche Heldenverehrung hatte ihr die private Trauer an „jenem Ort“ unmöglich gemacht: „Was bei all diesen Gedanken jedoch mitschwang, war die Vorstellung, daß sie diesen Ort, wenn sie ihn aufsuchte, nie wirklich für sich allein haben würde. Und hätte sie ihn je für sich allein haben und frei über ihn verfügen können, so wäre dennoch etwas zurückgeblieben, das sich dadurch nicht hätte lösen lassen.“ Die Erzählungen K_onos bieten keine Lösungen, ihre Enden bleiben meist offen, nicht aber, ohne zuvor die Hoffnung auf eine Lösung genau zur Sprache gebracht zu haben.

Marianne Karbe

Taeko K_ono, Knabenjagd, Insel-Verlag, Frankfurt/M., 1988, 24Mark

dies., Fleischknochen, Galrev-Verlag, Berlin 1985, 6Mark

dies., Schnee, Galrev-Verlag, Berlin 1987, 24Mark