In Galiläa gehen die Uhren anders

Vor den Wahlen in Israel: Die arabische Bevölkerung steht zwischen palästinensischem Nationalismus und Streben nach Gleichberechtigung als israelische Bürger  ■  Aus Akkos Beate Seel

Auf den Höhenzügen Westgaliläas im Norden Israels thronen jüdische Ortschaften hoch über den alten palästinensischen Dörfern in den Tälern. Am Straßenrand erstreckt sich ein ödes Steinfeld,. „Hier stand früher auch ein arabisches Dorf“, sagt Rimona, eine junge israelische Palästinenserin, „vor kurzem haben 'sie‘ auch die Bäume gefällt, wahrscheinlich wollen 'sie‘ eine neue Siedlung bauen. Das ist Teil 'ihrer‘ Politik der Judaisierung Galiläas, denn die Araber stellen hier die Mehrheit der Bevölkerung.“ „Sie“, das sind die israelischen Behörden, und Rimona nimmt ganz selbstverständlich das Wort „Siedlung“ in den Mund, so, wie es in den besetzten Gebieten verwandt wird.

Fast könnte man meinen, in der Westbank zu sein. Aber eben nur fast. Denn hier gehen die Uhren ein wenig anders als in den besetzten Gebieten. Zum Beispiel Kfar Yassin, eine palästinensische 6.000-Seelen-Gemeinde. Zweistöckige Gebäude säumen die Gassen und Schotterwege, dazwischen stehen wahre Prachtvillen, errichtet mit dem Erlös verkauften Landes. Aus den Gärten quillt sattes Grün, überall blühen die Hibiskushecken. Koalition mit Peres?

Nimr Murkus, der Bürgermeister, rangiert auf dem (aussichtslosen) Platz 22 der Kandidatenliste der Front für die israelischen Parlamentswahlen am kommenden Dienstag. Für Murkus wie für viele andere aus der palästinensischen Minderheit in Israel sind die Wahlen die wichtigsten seit der Gründung Israels, wahre Schicksalswahlen, die letztendlich über Krieg und Frieden entscheiden werden. 330.000 Araber leben in Israel, stellen fast 17 % der Bevölkerung und könnten, wenn sie alle zur Urne schreiten, vierzehn oder fünfzehn Abgeordnete in die Knesset entsenden. „Wenn es nicht zu einer klaren Mehrheit kommt, wird unsere Stimme, die der Araber, Gewicht haben“, sagt Murkus. „Mit dem Likud-Block werden wir niemals zusammengehen. Aber wir sind bereit, für eine Regierung der Arbeiterpartei zu stimmen, selbst eine Koalition mit ihr einzugehen, wenn sie unseren Forderungen entgegenkommen: Zwei Staaten für zwei Völker, ein Rückzug israelischer Truppen aus der Westbank und dem Gaza-Streifen, Friedensverhandlungen im Rahmen einer internationalen Konferenz unter der Schrimherrschaft des UN -Sicherheitsrates. Die Alternative dazu wäre die Neuauflage der Regierung der „Nationalen Einheit“, eine schlechte Situation.

Die „Demokraische Front“ ist nicht die einzige Oppositionspartei, die um die arabischen Stimmen wirbt. Ihre Hauptkonkurrenten sind die „Progressive Freidensliste und die „Arabisch-Demokratische Partei“ von Darausche, der wie Murkus anmerkt, 35 Jahre lang Mitglied der Arbeiterpartei war und erst in die im Zuge der Intifadah, des palästinensischen Aufstands in den besetzten Gebieten, ausgetreten ist, und von dem gemeinhin angenommen wird, daß er wieder mit der Partei von Shimon Peres koalieren wird. Mit seiner Ansicht, daß es sich dabei nur um ein Manöver der Arbeiterpartei handelt, möglichst viele arabische Stimmen einzufangen, steht der Bürgermeister nicht alleine. Doch bislang ist die „Demokratische Front“, die auch jüdische Mitglieder hat, die stärkste Kraft unter den israelische Palästinensern. „Vor der Intifadah waren wir die einzigen in Israel, die für die Formel „Staaten für zwei Völker“ gekämpft haben, sagt Murkus, „jetzt gibt es viele, auch die Führung der Intifadah, die realistisch geworden ist. Wenn es in naher Zukunft einen palästinensischen Staat gibt, werden wir weiterhin in unserer Heimat leben und gegen die Diskriminierung kämpfen.“

Das Wort „Diskriminierung“ löst die Zungen der anwesenden Familienmitglieder, ähnlich, wie es in der Westbank der Fall ist, wenn von Repression die Rede ist. Die Liste ist lang, Töchter und Schwiegersohn steuern Beispiele aus Schule, Universität und der Suche nach einem Arbeitsplatz bei. Murkus verweist darauf, daß das Pro-Kopf-Budget für palästinensische Israelis gerade ein Viertel des Budgets für die jüdischen Mitbürger umfaßt, daß 200.000 in Ortschaften leben, wo es nicht, wie in Kfar Yassin, einen gewählten Gemeinderat gibt, in dessen Händen die offizielle Autorität in so wichtigen Fragen wie Land und Steuern liegen. Doch gibt es eine Dachorganisation, in der neben den Bürgermeistern und Abgeordneten auch Vertreter der arabischen Organisationen für Schüler, Studenten, Schriftsteller oder des Komitees zur Verteidigung des Bodens sitzen. Dieses Gremium war es beispielsweise auch, das über Aktionen zur Unterstützung der Intifadah entschieden hat, Streiks und Demonstrationen organisiert und Geldsammlungen angeregt hat. Keine Frage, daß die Runde im Wohnzimmer des Bürgermeisters sich für die Anerkennung Israels durch die PLO ausspricht, ein Schritt, der ihrer Meinung nach längst hätte erfolgen sollen.

Wir sitzen mit einer Gruppe junger Leute im Wohnzimmer des Appartements, in dem Rimona, eine Lehrerin, mit ihrem Mann lebt, einem ehemaligen Soziologiestudenten, der sich selbständig gemacht hat, nachdem er keine Anstellung fand. Das Haus steht im neuen, jüdischen Teil Akkos. An der Tür fehlt das Namensschild, das haben die Nachbarn immer wieder abgerissen. Entgegen sämtlichen palästinenischen Konventionen hat sich das junge Paar keine Schlafzimmereinrichtung angeschafft. Eine große Matratze liegt auf dem Boden, drumherum zerfledderte Zeitungen und Magazine. Schmuckstück des Salons ist eine schwarze Sitzecke, die jeder Yuppie-Wohnug Ehre machen würde. Während wir plaudern, greift Rimona zu einer Handabeit und häkelt feine palästinensische Spitzenmuster. Das hat sie sich von ihrer Großmutter beibringen lassen.

Yussuf, ein Student, meint: „Das moderne Leben hat seine Vorteile für uns. Wir leben freier als unsere Eltern und die soziale Kontrolle ist nicht so eng wie im Dorf.

Und die Intifadah? Die Intifadah bedeutet für uns eine psychologische Wende, unsere Anspannung hat nachgelassen, sie läßt uns aufatmen und gibt uns die Möglichkeit, etwas zu unternehmen.“