Schrille Liebesbriefe

■ Von 1933 bis 1940 währte der Briefwechsel zwischen Irmgard Keun und ihrem in die USA geflüchteten Geliebten Arnold Strauss / Ein schrilles Konzert aus Liebeswerben und Aggression, Exilsorgen und dem hoffnungslosen Traum vom bürgerlichen Glück

Der erste veröffentlichte Brief ist gleich eine Kopfwäsche. Da macht eine Frau einem Mann klar, daß er sich unmöglich benommen hat. Und mit dem ganzen Feuer ihres Temperaments kostet sie den kalten Guß über dem Haupt des Geliebten aus. „In aller Eile“ redet sie den Mann ohne die briefübliche Anrede an; erst der zweite Satz nennt den Namen des Mannes. Und was für ein Satz am Beginn eines langjährigen Briefwechsels: „Ich schwöre Dir, Arnold, Du wirst konventionell heiraten, Deine Mutter wird Dir die Frau aussuchen - und das ist richtig so.“ Arnold Strauss hatte mit seiner Mutter über sein Verhältnis zu einer verheirateten Frau geplaudert. Um in der Sohnesliebe der Mutter nicht zu sinken, sagte er der Mutter gleich dazu, seine Freundin Irmgard Keun sei, bevor sie ihn, Arnold Strauss, traf, eine anständige Ehefrau gewesen. So kann die gutbürgerliche Mutter nicht über die Wahl des Sohnes klagen; das tut sie auch nicht, sondern sie klatscht weiter und münzt die Affäre ihres Sohnes in ein „schönes Erlebnis“ um, als wäre sie dabeigewesen. Die beleidigte untreue Unschuld donnert: „Du wagst es, Deiner Mutter zu sagen, ich wäre meinem Mann immer treu gewesen. Schämst Du Dich nicht? Bin ich ein kleines Mädchen, das man mühsam rehabilitieren muß?“

Nun war es erstens überhaupt nie fein, über ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau zu sprechen. Und zweitens war es 1933 nicht ungefährlich, wenn die eigene „Rassenschande“ publik wurde. Die Vorwürfe gipfeln in dem Satz: „Du kompromittierst mich hemmungslos.“

Doch wer wird da kompromittiert, die freizügige Frau, die in den Familienklatsch einbezogen wird, die blonde „Arierin“, die Ehefrau, die den Schein wahrt, die Schriftstellerin, die auf ihren eigenen Füßen steht? Die Facetten sind unendlich, sie funkeln, blenden sich gegenseitig. Später im Briefwechsel kommen andere hinzu: das kleine Mädchen, das sich vor Nachtfaltern fürchtet, die Mutter, die „ihrem Kleinen“ Nasenstüber gibt, die Frau, die bei ihrem Arztfreund über Menstruationsschmerzen und Haarausfall klagt, die Kokette, die den fernen Mann gehörig eifersüchtig macht. Wechselbäder der Launen und Stimmungen.

Irmgard Keun und Arnold Strauss lernen sich 1933 kennen, er ist Pathologe an der Berliner Charite, aus „rassischen“ Gründen wird er arbeitslos, sie hat eine kleine Theaterkarriere als Schauspielerin hinter sich und mit ihrem Roman Gilgi, eine von uns (1931) innerhalb eines Jahres sechs Auflagen erreicht und nur ein Jahr später Das kunstseidene Mädchen, ein Schlüsselbuch der neuen Sachlichkeit, veröffentlicht. Beide Bücher wurden gleich in mehrere Sprachen übersetzt; eine junge erfolgreiche Frau, auf die Strauss stolz ist.

Warum sollten sie nicht ein Paar werden? Doch man schreibt das Jahr 1933. Arnold Strauss ist rasch zur Emigration entschlossen, er will Irmgard Keun heiraten. „Aber das ist wenig eilig“, schreibt er an seine Eltern in Barmen, „da ich erst Geld verdienen will, ehe ich an so etwas denke. Besonders deswegen, weil sich 'meine Frau‘ aus dem Nichts große Einnahmen geschaffen hat und es für mich ein bedrückendes Gefühl wäre, selbst wenig zu verdienen oder von einer Frau abhängig zu sein und so etwas sicher der Tod aller Liebe wäre.“

Doch Irmgard Keun möchte auch keine Abhängigkeit und hält sich an ihrer Arbeit fest, „und dann liebe ich sie wie meinen am meisten geliebten Mann, weil sie das einzige ist, was mir immer raushilft aus allem“. Die Straussischen Familienbande sind ihr ein Greuel, eine Fessel. „Sicher seid Ihr warmherzigere Menschen mit tieferem Empfinden“, schreibt sie Ende 1934 ironisch. Sie begreift sich als deutschsprachige Schriftstellerin, sondiert sorgfältig das Terrain, ehe sie sich 1936 zunächst für den Emigrationsort Ostende entscheidet, und auch das erst, nachdem der Verlag Allert de Lange ihr sein Interesse für das Buch Das Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehren durften signalisiert.

Doch da ist Arnold Strauss schon in den USA, er arbeitet wieder als Arzt in einem Krankenhaus, zuerst in Montgomery, dann in Norfolk/Virginia, und erwartet die Keun, die fragt, ob es dort auch Lokale gäbe, in die sie allein gehen könnte, denn das braucht sie, wenn sie schon Angst vor dem Leben in der „kleinen fremden Stadt“ hat. Einmal besucht sie Arnold Strauss und kehrt wieder zurück nach Europa.

Die Schlupflöcher der Fluchtgefühle bleiben offen. „Ich könnte es gut verstehen, wenn Deine Liebe jetzt erlahmte. Ich bin jetzt ein ganz kranker und matter Mensch, krank und matt an Körper und Gefühl“, schreibt sie einmal. Die Warnungen sind überdeutlich, aber Strauss hat eine Engels oder eine Schafsgeduld. „Ich bin so egozentrisch, Kleines, und schreibe immer nur von mir“, heißt es einmal. Der ganze Widersinn des Planes, mit Arnold Strauss in den USA zu leben, kulminiert in dem Satz: „Ich denke, ich werde Dich bald für die Überfahrt sparen lassen können, du Armes.“ Und dann ist es auf einmal nach dem Überfall der deutschen Truppen auf Holland zu spät, um noch ins amerikanische Exil zu kommen. Die Falle ist zugeschnappt.

Joseph Roth, mit dem sie vorwiegend in der Emigration gelebt hat, der einzige Mann, der in ihrer Seele „Wurzeln geschlagen hat“, wie Irmgard Keun an anderer Stelle sagt, ist tot. Der Briefwechsel mit Strauss hat sich in sieben Jahren ermüdet, Liebesbeteuerungen und Aggressionen, Beleidigtsein und Werben wechseln in Gewitterstürmen, die Partner sind gereizt, erschöpft, alle Versprechen sind hundertmal gebrochen, die nackte Not und Verzweiflung regiert in den letzten Hilferufen von Irmgard Keun 1940. Ende der Beziehung

Auch Arnold Strauss‘ Eltern werden vom Überfall der deutschen Truppen in Holland überrascht und warten wie Irmgard Keun auf ein Visum in die USA. Arnold Strauss wiederum kann die prekäre Lage der drei nicht einschätzen und Irmgard Keun, die sich ihm nun sogar als eine sanfte Sammlerin von Kochrezepten andient, begreift nicht, daß seine Hilfsmöglichkeiten beschränkt sind.

Aus Bitten werden Forderungen, der gute Mann wird schamlos ausgebeutet. Sie fleht, nicht alleingelassen zu werden, nachdem ihre Konsulatsbeziehungen gescheitert sind. Die Eltern Strauss sehen aus nächster Nähe, daß ihre zukünftige Schwiegertochter, die doch „unsere Herzen zu gewinnen suchen“ müßte, ein randständiges Leben zwischen Alkohol, Euphorie und Verzweiflungstaten führt, „mehrmals (5x) betrunken in ganz gewöhnlicher Männergesellschaft“, ein Leben, das sich nie und nimmer in das einer amerikanischen Arztehefrau verwandeln läßt. Was ein politischer Mensch „untertauchen“ nennen muß, nennen die Strauss-Eltern „ohne Bezahlung durchbrennen“. Die Keun ist davon überzeugt, daß das unpolitische alte jüdische Ehepaar weniger gefährdet ist als sie und schreibt es. Im August 1940 schreibt Arthur Strauss an den Sohn: „Daß wir noch leben ist das einzige, was wir sagen können.

Der Enttäuschungen waren zu viele. Unser erster und letzter Wunsch kann nur sein, daß Du Dich von dieser Circe befreist. Sie hat uns zu arg mitgespielt.“ Drei Wochen später wählt das Ehepaar den Freitod. Irmgard Keun geht zur gleichen Zeit illegal nach Deutschland zurück und lebt in einem Versteck bis Kriegsende.

Nach dem Krieg setzt sie sich wieder mit dem Freund in Verbindung, als sei nichts gewesen. Er schickt ein Carepaket, sie versucht, in ihrem Brief den alten Ton der Vertraulichkeit anzuschlagen. Aber Arnold Strauss antwortet nicht mehr. Er hat 1941 Marjory S.Spindle geheiratet, die nach Strauss‘ Tod den Briefwechsel mit der früheren Freundin ihres Mannes sichtet. Sie beginnt Deutsch zu lernen, um ihn zu verstehen.

Ein Konvolut von 271 Briefen, die sie durchaus gegen Irmgard Keun hätten einnehmen können und häufig höchst befremdliche Schlaglichter werfen. Sie schrieb an Irmgard Keun, doch diese antwortete nicht; sie antwortete überhaupt später nicht auf Briefe.

Marjory S.Strauss schrieb ein lebenskluges Nachwort zu ihrer Entdeckung der Briefe, die zweistimmig begleitet werden von den ebenfalls erhaltenen Briefen der Eltern von Arnold Strauss, so entsteht ein schrilles, dramatisches Konzert, bürgerliches Glück gegen die künstlerische Freiheit, Alltagsdisziplin versus Phantasie einer Erzählerin, vieles steht in krassem Gegensatz zu den Einschätzungen und Beteuerungen von Irmgard Keun. Eigenmächtigkeiten

der Herausgeberin

Dies könnte ein anrührender, schöner Band sein, der zum Verständnis des erst so spät wiederentdeckten Keunschen Werkes und zur lebensgeschichtlichen Situation des Exils viel beitragen könnte, wäre die Lektüre nicht immer wieder gestört durch Eigenmächtigkeiten, Eitelkeiten der Co -Herausgeberin von Marjory S.Strauss, Gabriele Kreis.

Sie schreibt zur Auswahl vollmundig: „Denn das will dieses Buch mehr sein als ein Briefband oder ein Keun-Lesebuch: ein Stück Biographie, zusammengesetzt aus Briefen und Kommentaren, aus zeitgeschichtlichen Dokumenten und Romanzitaten, aus meinen Deutungen und den Erinnerungen Dritter wie früherer Freunde Irmgard Keuns.

Wo Namen zu nennen sind, nenne ich sie im Text; mit anderen Quellen halte ich es genau so.“ Wie denn bitte? wie halten Sie es denn, muß sich die Herausgeberin zurückfragen lassen. Denn wo Namen genannt werden, und vor allem Namen, die aus der Forschung bekannt sind, ignoriert Gabriele Kreis sie. Die Standard-Nachschlagewerke der Exilliteratur, die sehr solide gearbeiteten Texte der Exilforschung zu Irmgard Keun: Gabriele Kreis scheint sie nicht zu kennen.

Was aber das Schlimmste ist, die Lektüre der Briefe wird immer wieder gestört durch in den Text gestreute Kommentare, Klebestellen aus dem Werk, vollkommen unnütze, marginale Erklärungen, wo keine nötig sind, während an Stellen, an denen dringend Erklärungen notwendig gewesen wären, keine sind. Einige Beispiele: Ist in einem Brief von Geld die Rede, und das Geld, das Arnold Strauss der Keun schicken soll, ist je länger, um so mehr das Thema der späteren Briefe, folgt prompt eine Zitatstelle aus einem der Romane, in der auch von Geld die Rede ist. So werden die Bücher zerfleddert und die Briefe ebenfalls.

Gabriele Kreis möchte unbedingt erklären, daß es sich bei Julius Streicher um den Herausgeber des 'Stürmer‘ handelt. Eine halbe Zitatseite braucht sie, um die Sudetenkrise zu erklären, die für die Keunsche Biographie ohne Belang ist. Dagegen ist der Überfall auf die Niederlande vage als „Krieg im Westen“ bezeichnet. Kein Wort von dem Flächenbombardement Rotterdams, das Entsetzen verbreitete.

Bei Kreis heißt es lapidar: „Am 14.5. kapituliert Rotterdam“. Eben nicht. Nach der Zerstörung Rotterdams kapitulieren die Niederlande am 15.5. Kein Wort über die Exilbedingungen in den Niederlanden, man kann darüber in Hans-Albert Walters Deutscher Exilliteratur viel lesen, dreimal ist dabei auch von Irmgard Keuns Bedingungen die Rede, von ihrem Wechsel von Allert de Lange zu Querido und zurück, einer Vorschußschieberei, wie sie auch für Joseph Roth getätigt wurde.

Nichts davon in diesen Texten, die „mehr“ sein wollen und weniger sind. Es wäre auch ein leichtes gewesen, über Irmgard Keuns Ehemann Johannes Tralow mehr harauszufinden, als daß er 27 Jahre älter als die Keun und Autor und Regisseur war. Er arrangierte sich mit den Nationalsozialisten. Der Kürschner weist ihn als Autor von fast zwanzig Werken aus, vorwiegend historischer Romane. Tralow war 1951 bis 1960 Präsident des deutschen PEN (Ost und West). Er starb 1968 in Ost-Berlin.

Die Herausgeberin verläßt sich lieber auf Klatsch und zitiert eine ungenannte Freundin der Keun: „Was war Tralow für ein Mensch?“ frage ich die Freundin. „Ein ganz übler Charakter“, antwortet sie spontan. „Sehen Sie sich das Scheidungsurteil an und Sie wissen Bescheid.“ Nun werden Scheidungsurteile weder von dem verlassenen Ehepartner formuliert noch sind sie Ausweise für schöne Seelen... Schlampigkeiten

Besonders ärgerlich ist es, wenn über die ganze Schärfe der Existenzvernichtung durch die Nazis hinweggeschlampt wird. Gabriele Kreis schreibt flott, die ersten beiden Bücher der Keun seien auf den Index gekommen.

Index heißt das Verzeichnis der den Katholiken zu lesen verbotenen Bücher. Irmgard Keuns Bücher sind vielmehr auf die Vorläufer der Schwarzen Listen gekommen - zur Säuberung der Volksbüchereien. Besonders Gilgi, eine von uns erregte Ärgernis „als Asphaltliteratur mit antideutscher Tendenz“. Andere Angriffe gingen gegen „die Jüdin Kohn, die sich Keun nennt“.

Das kunstseidene Mädchen wurde am 7.8.1933 für Preußen beschlagnahmt, einen Tag später für Bayern und am 13.10.1933 vernichtet. Die Herausgeberin hält dies keiner Erwähnung für wert. Während die Keun in ihren ersten Briefen an Strauss dauernd von Aufregungen, Ärger mit dem Verlag, mit der Reichsschrifttumskammer schreibt, aber den wahren Sachverhalt nicht in einem Auslandsbrief schreiben kann, müßte die Herausgeberin erklären, welche Aufregungen und welchen Ärger sich die Keun einhandelte.

Denn sie besaß als einziger deutscher Autor die Kühnheit oder Naivität, beim Landgericht Berlin gegen den preußischen Staat eine Schadensersatzklage wegen der Vernichtung der gesamten Bestände ihrer Bücher beim Universitas-Verlag anzustrengen, eine Klage, die nur als „Beschwerde“ behandelt wurde und, da die Bücher inzwischen in die Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums aufgenommen worden waren, abschlägig beschieden wurde.

Ein Stück aus der Keunschen Biographie, das 1977 in den Amsterdamer Beiträgen zur Neueren Germanistik nachzulesen war. Ohne dieses Hintergrundwissen klingen manche Briefe wie Zeugnisse einer hektischen Betriebsamkeit. Gabriele Kreis findet für dieses unerhörte Ende der Keunschen Karriere die euphemistische Formel: sie konnte ihre Texte nicht mehr „verkaufen“. Keine Rede auch davon, daß der Kommentar einen Schriftwechsel der Gestapo mit der Reichschrifttumskammer aufgreift.

Die Keun sollte angeblich das Ansehen der deutschen Postbeamtinnen herabgesetzt haben, indem sie Nutten mit entlassenen Telefonbeamtinnen verglich. Man kann dieses erheiternde Dokument von 1934 in Hildegard Brenners 1963 erschienen Buch Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus studieren. Was mehr als ein Brief-Band oder ein Keun -Lesebuch werden wollte, ist leider eine rasch und schlampig zusammengerührte dunkle Materialbrühe geworden. Wie schade um die frischen, lebendigen Briefe der Keun, die kleinen, aus dem täglichen Faschismus und den Emigrationswirren aufgelesenen Studien, sie hätten eine bessere Aufbereitung verdient.

Irmgard Keun: Ich lebe in einem wilden Wirbel. Briefe an Arnold Strauss. 1933-1947. Hrsg. Gabriele Kreis und Marjory S.Strauss. Claassen Verlag, Düsseldorf 1988. 310 Seiten. 39,80 Mark