Die Volksvertreterinnen: Frauen an angeblichen Schalthebeln der Macht

■ Gibt es noch Chancen oder nur noch die Rückwärtsverteidigung? / Entscheiden wir wirklich was? / Die Frauen im italienischen Parlament diskutieren ihre Rolle

21 waren sie vor 40 Jahren, bei Gründung der ersten italienischen Republik; verloren und grau im Herrenanzug saßen sie auf den Hinterbänken des provisorischen Parlaments. Heute sind sie immerhin gute 100, fühlen sich etwas stärker und sind näher zusammengerückt. Der Prozentsatz von Frauen im italienischen Parlament ist zwar noch immer sehr niedrig, gerade 14 Prozent - dennoch, stünden sie alle zusammen, kämen sie an die drittstärkste Fraktion, die Sozialisten, heran. Zeichen haben die Frauen im italienischen Machtestablishment sicherlich gesetzt; doch neben immer noch vorhandenen Perspektiven überwiegen heute Enttäuschung, Resignation.

Das Problem ist in allen Fraktionen gleich - die Männer geben Themen und Gangart vor, die Frauen, die sich einst auf dem Vormarsch wähnten, reagieren nur noch. Vorbei die Zeiten, in denen die Frauenbewegung sogar die ländlichen Regionen mobilisieren konnte und die von der Kirche geforderte Rücknahme der Ehescheidungsgesetze verhinderten (1974) oder die Liberalisierung der Abtreibung durchsetzten (1978); vorbei auch Aktionen wie die der Militanten Elvira Banotti, die anläßlich einer Diskussion im Ministerpräsidentenpalais zum Thema Gleichberechtigung in sämtlichen Räumen des Palazzo Flugblätter über den klitorialen Orgasmus hinterließ. Heute sehen die Frauen selbst sichergeglaubte gesetzliche Errungenschaften wieder in Frage gestellt. So zum Beispiel, als der Intimus von Sozialistenchef Bettino Craxi, Schatzminister Giulio Amato, die gesetzlich festgelegte alleinige Entscheidungsbefugnis der Frauen bei Abtreibungen angriff. Der breite Konsens der Kollegen Amatos in allen Fraktionen zeigte, wie schnell diese zu einer Revision frauenfreundlicher Normen bereit sind.

Kein Wunder, daß die Frauen in Italiens Parlament über ihre Funktion im Gesetzgebungsorgan nachzudenken beginnen. „Sie legen uns regelmäßig mit einem simplen Trick herein“, sagt die Linksunabhängige Abgeordnete Carol Beebe Tarantelli, „indem sie uns fortschrittliche Gesetze zugestehen, deren praktische Realisierung wir jedoch aus eigener Kraft nicht durchsetzen können.“ Dennoch sieht die gebürtige US -Amerikanerin nicht alles Grau in Grau: „Als ich 1967 nach Italien kam, waren die Frauen hier Lichtjahre den amerikanischen Frauen hinterher. Heute stehen sie, jedenfalls dem Bewußtsein und der kämpferischen Einstellung nach, absolut auf gleicher Ebene.“

Die Frage ist, welche Beziehungen die Frauen im Parlament zum eingespielten Apparat des Establishments entwickeln und vor allem zu ihren männlichen Kollegen, die diesen Apparat seit eh und je besetzt halten. „Im Parlament“, so die über die PCI-Liste gewählte Leiterin der Monatsschrift 'Noidonne‘, Mariella Grimaglia, „gibt es zwei Machtebenen. Die eine ist die, auf der auch wir uns bewegen, die der einfachen Abgeordneten. Die andere ist die reale, wirklich exekutive Ebene, die der Minister, der Kommissionsvorsitzenden, der Fraktionsverbände. Die nämlich sind es, die unsere Arbeitsplätze und Termine bestimmen, die Kampfarenen auswählen, den Ton, den Stil, in dem Gesetze gemacht werden. Auf dieser Ebene gibt es keine Frauen, sieht man mal von der einsamen Nilde Jotti auf dem Stuhl des Parlamentspräsidenten ab.

Nur auf wenigen Gebieten - im Grunde nur im Bereich des Umweltschutzes - haben Frauen den Männern im Parlament regelrecht den Schneid abgekauft: Wenn die 34jährige Rosa Filippini oder die 29jährige Anna Donati von den Grünen den Umweltminister kleinmachen, ist es mucksmäuschenstill im Saal. Doch auch altgestandene Kämpferinnen wie die über den PCI gewählte Seveso-Gift-Entdeckerin Laura Conti, 67, fragen sich immer häufiger: „Was entscheiden wir aber am Ende wirklich?“ Carol Beene bringt das Dilemma auf den Punkt: „Wir stehen vor einer unlösbaren Frage. Die Macht als solche abzulehnen, uns ihr verweigern, sie zu verändern suchen, sie selbst in die Hand nehmen? Schwierig, besonders da, wo oppositionelle Gruppen wie wir - auch die Männer - ja sowieso schon sehr viele Probleme mit der Macht und ihrer Perversion haben. Sicher, man kann sich ihr entziehen; aber dann entscheiden die anderen für dich. Also machen wir doch immer irgendwie mit, suchen zu retten, was zu retten ist. Aber irgendwie plagt uns alle auch eine Art Jungfräulichkeitssyndrom, auch in der Politik. Wir wollen unschuldig bleiben und können es doch nicht.“

Noch halten sich Italiens Parlamentarierinnen an einigen neueren Erfolgen fest - ein Gesetz für berufstätige Mütter, das beispielhaft ist für ganz Europa, eine starke und bisher haltende Abwehrfront auch der konservativen Frauen gegen die Aufweichung des Abtreibungsgesetzes, ein aussichtsreicher Versuch, Frauenverbände als Nebenklägerinnen in Vergewaltigungsprozessen durchzusetzen. „Dennoch“, sagt Marielle Gramaglia, „auch wenn nun 100 Frauen im Parlament sitzen, fühle ich mich bei jedem einzelnen Kampf alleine. Es ist das Gefühl, in einer Welt zu kämpfen, die schlichtweg nicht die eigene ist.“

Raffaella Menichini