Frauen in Italien: Männer schlagen zu

■ In Italien wächst die Tendenz, Frauen wie Freiwild zu behandeln

Angefangen von der Verdrängung aus politischen Spitzenpositionen bis hin zu einem signifikanten Anstieg brutaler Vergewaltigungen - Italiens Männer fühlen sich offenbar durch die wachsende Zahl selbstbewußter und erfolgreicher Frauen in Ego und Position bedroht. So führen Soziologen den Anstieg von Vergewaltigungen vor allem in Norditalien hauptsächlich auf das Bedürfnis zurück, „Frauen zu demütigen“. Wo nicht mit nackter Gewalt, wird mit subtileren Mitteln dasselbe Ziel verfolgt. Erfolgreiche Frauen haben eine schlechte Presse, frauenfreundliche Gesetze bleiben Makulatur.

In Rom durchstreifen sie die Straßen meist in Gruppen zu dritt; in Mailand sind es mal zwei, mal fünf; nahe dem sizilianischen Catania fielen sie gar zu elft über ihr Opfer her: junge Männer, manche erst 17, 18, andere schon verheiratet, 30jährig, gehen systematisch auf Jagd. Ziel: die Vergewaltigung von Frauen, die sie nachts alleine auf der Straße antreffen, oder zu deren Wohnung sie sich Zugang verschafft haben. Mehr als 1.400 Fälle vollendeter Vergewaltigung und nochmal so viele Angriffsversuche wurden 1987 in Italien angezeigt; die Zahl wurde 1988 bereits im Juli übertroffen. Die Dunkelziffer liegt nach Polizeischätzungen zehn- bis 20mal höher. Und nicht wenige Fälle enden tödlich - mehr als in Dutzend Sexualmorde alleine ein der Gegend um Turin, nahezu ebensoviele in Mailand, in Rom acht, in Neapel vier. Tendenz: je weiter im Norden, umso gefährlicher das Leben für die Frauen. Mehr als 40 Prozent der Taten wurden in Oberitalien verübt, ein Drittel in Mittelitalien zwischen Florenz und Neapel, knapp ein Viertel im Süden.

Die massive Zunahme von Vergewaltigungen durch Gruppen ebenso wie die geographische Staffelung beschäftigen inzwischen die Expertenwelt. Dabei kommen Juristinnen wie die mit vielen Sexualverbrechen befaßte Landgerichtspräsidentin Grazia Giuliani aus Mailand zu demselben Ergebnis wie der Soziologe Carmine Ventimiglia von der Universität Parma (Autor der ersten flächendeckenden Untersuchung über Vergewaltigungen in Italien): „Beim Großteil der derzeit verübten Vergewaltigungen geht es längst nicht mehr um Abreaktion eines sexuellen Bedürfnisses, sondern schlichtweg um die Demütigung der Frauen als solchen.“

Daraus lassen sich möglicherweise die hohen Zahlen von Angriffen auf Frauen in Norditalien erklären - „dort gelten Frauen weit mehr als im Süden als emanzipiert, treten zunehmend mit Männern in Konkurrenz, ängstigen diese durch ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit“. Im Süden, wo die Frauen noch weitgehend unterdrückt sind und sich nur selten bemerkbar machen, haben die Machos danach offenbar weniger „Anlaß“, sich die Frauen durch Vergewaltigung „untertan“ zu machen. „Dort“, so Ventimiglia, „gibt es eine andere Art sexueller Delinquenz - die Verführung und auch Vergewaltigung innerhalb der Familie, durch den Vater oder den Onkel.“

Förderlich für die massive Zunahme der Männergewalt ist nach Psychologenmeinung vor allem, daß viele junge Männer sich auch zunehmend nutzlos, unterbewertet, an den Rand gedrängt fühlen - mehr als zwei Drittel der gut drei Millionen Arbeitslosen Italiens sind zwischen 14 und 27, die Hälfte von ihnen hat nie eine reguläre Beschäftigung ausgeübt. Das traditionelle Herrschaftsverhältnis - der Mann sogt für die ökonomische Reproduktion, die Frau schafft im Haus und hütet die Kinder - funktioniert nicht mehr, in vielen Familien ist die Frau oder die Tochter die einzige Erwerbstätige: als Putzfrau, als Näherin, als Bürohilfe, in sozialen Brennpunkten auch als Prostituierte.

Doch nicht nur per Vergewaltigung macht Italiens Männerwelt gegen die Frauen mobil. Zu Dutzenden werden die in den letzten Jahren in Dezernentenstellen und Bürgermeisterposten eingerückten Frauen derzeit wieder aus dem Amt gedrängt; als letzte mußte die 1987 gewählte Bürgermeisterin von Turin und ehemalige Staatssekretärin Maria Magnani Noya ihren Platz räumen. Im derzeitigen Kabinett De Mita sitzt nur deshalb eine „Vollministerin“ (Bono Parrino, für Kulturgüter), weil die für das Ressort zuständigen Sozialdemokraten in ihrer Minifraktion - zugestandermaßen - keinen von Skandalen verschonten ministrablen Herrn mehr aufbieten konnten.

Gerne behilflich bei der Entscheidung, wer Herr im Haus ist, sind auch Italiens Gerichte. In Mailand ließen sie Väter, die ihre Töchter verführt (wohl eher vergewaltigt! d. k.in) hatten, mit der saloppen Begründung laufen, dies stelle „kein öffentliches Ärgernis dar„; in Turin kam ein junger Mann frei, der seine zur Abtreibung in eine Klinik gegangene Freundin mit Waffengewalt aus dem Operationssaal herausgeholt hatte; im sizilianischen Mazara del Vallo ließen sie einen 19jährigen auf Bewährung frei, der seine 14jährige Schwester zu Tode geprügelt hatte, weil sie zu spät nach Haus gekommen war - gerichtliche Begründung: „Die Tat ist aus ehrenwerten Motiven geschehen.“ Erst als der Bursche kurz danach seinen Vater blau prügelte, war der Spaß zu Ende - er wurde für sechs Jahre ins Gefängnis gesteckt.

Wo die Männerwelt Frauen nicht regelrecht aushebeln kann, versucht sie es mit Rufmord oder Erniedrigungskampagnen. Die eben jung verstorbene Marissa Bellisario, die als Managerin die total verschuldete Staatsfirma Italtel aus den roten Zahlen herausholte, wurde zur „erbarmungslosen eisernen Lady“ gestempelt (so 'La Stampa‘, die Zeitung der Fiat -Herren Agnelli); die linksliberale 'La Repubblica‘ publiziert kontinuierlich Artikel über die „überharten Managerinnen“, die „vor allem Karriere im Sinn haben, sich aber doch im Grunde nach einem starken Mann sehnen“, und der sozialistennahe 'Espresso‘ veröffentlicht immer wieder mal „Belege“, wonach „vor allem die Berufstätigkeit und Karrieresucht der Frauen schuld sind an den Krisen im Bett“.

„Das Bestürzende an alledem ist“, sagt die Grünen -Stadträtin Letizia Battaglia aus Palermo, Gründerin des ersten süditalienischen Frauenverlags 'La Luna‘, „daß diese neue Kampagne der Unterdrückung nicht von den klerikalen oder erzkonservativen Medien kommt, sondern aus den Reihen der sogenannten fortschrittlichen, nicht-ideologischen Parteien, den angeblich 'modernen‘ Managerstuben und den Gewerkschaften“. Tatsächlich stehen mitunter gerade jene Parteien, die einst Beträchtliches für Frauenfragen getan haben, heute besonders blamiert da, wenn es um die Weiterentwicklung von Emanzipation geht. Auf sozialistischen Parteitagen sind Frauen längst zu reinen Attrappen verkommen (etwa als Ehrenjungfrauen um das Rednerpodium, wie beim letzten Kongreß in Rimini). Die Kommunisten ihrerseits sind nicht einmal mehr zu einer theoretischen Debatte über Frauenfragen imstande. Als ein PCI-Funktionär vor kurzem vermutete, daß es einen Zusammenhang zwischen Miniröcken und der Tendenz zur Vergewaltigung gebe, warf der PCI den maskulinen Denker zwar flugs aus der Partei hinaus - doch eine inhaltliche Debatte über den Machismus wollte niemand führen. Als die Publizistin Miriam Mafai angesichts der zahlreichen Ermunterungen für den gefeuerten PCI-Mann die Partei aufforderte, doch mal herauszufinden, was hinter solchen Einstellungen steckt, warf ihr der stellvertretende Unita-Chef Michele Serra „Frauenfeindlichkeit“ vor - am selben Tag, an dem unter seiner Verantwortung eine Karikatur über die einzige Frau im Kabinett De Mita erschien, mit der Unterschrift: „Die hätte allenfalls noch eine Leiche zum Mann bekommen“.

Werner Raith